Ruf der Dämmerung (German Edition)
Gaslaterne.
»Taschenlampen kannst du vergessen, bei dem Wetter«, grummelte er. »Die werden feucht und das war’s dann.«
Schließlich zogen sie zu viert, völlig vermummt in Plastikcapes und Wachsmänteln, hinaus in den tobenden Sturm. Der Wind peitschte den Regen fast waagerecht vor sich her, Viola hatte das Gefühl, als hielte man ihr eine kalte Dusche ins Gesicht. Sie brauchte ihre ganze Kraft, um sich gegen den Sturm zu stemmen und irgendwie vorwärtszukommen. Der sonst so ruhige und idyllische See glich in dieser Nacht einem Hexenkessel. Die Wellen waren fast so hoch wie im Meer. Sie überspülten den Bootssteg mit einer solchen Macht, dass sich Viola nicht hinaufgewagt hätte.
Von den beiden Booten war weit und breit nichts zu erkennen. Bill fluchte. »Gehen wir mal ein bisschen am See entlang«, bemerkte er dann, als handele es sich dabei nur um einen kleinen Spaziergang. »Vielleicht sind sie irgendwo angeschwemmt und es ist noch was zu retten …«
»Sie meinen also, meine Frau hat ihr Boot gar nicht zurückgebracht?«, fragte John entsetzt. »Sie ist noch irgendwo da …« Er zeigte auf den tobenden See.
Violas Vater schüttelte den Kopf. »Das heißt alles gar nichts, die Boote haben sich wahrscheinlich nur losgerissen. Überlegen Sie doch mal, Ihre Frau hat offensichtlich das Motorrad genommen. Wie soll es sonst zum Spielplatz gekommen sein?«
»Und dann hat sie sich in Luft aufgelöst?«, schrie John gegen den Sturm an.
»Wir suchen jetzt erst mal die Boote«, entschied Bill. Er machte sich deutlich mehr Sorgen um die Kanus als um die vermisste Louise.
Violas Vater wagte nicht zu widersprechen. Dabei erwies sich der »Spaziergang« als höllisch. Die Wege direkt am See waren überflutet und die Wiesen aufgeweicht vom Regen. Violas Gummistiefel saugten sich im matschigen Untergrund fest, jede Bewegung kostete Kraft und der Sturm peitschte ihr den Regen ins Gesicht, riss ihr die Kapuze vom Kopf und wehte die Feuchtigkeit auch unter ihren Regenmantel. Johns Cape flog komplett hoch, er hatte inzwischen wohl keinen trockenen Faden mehr am Körper, aber er hielt tapfer mit, besorgt um seine Frau. Bill fand seinen Weg zielsicher, aber Viola und die anderen tasteten sich mehr vorwärts.
Schließlich hörten sie Guinness bellen und fanden dann tatsächlich das erste der Boote. Sie hatten das Ende der Bucht und die Brücke zu der kleinen Insel erreicht. Zwischen einem ihrer Pfeiler und dem Ufer hatte sich das Boot verkantet.
»Und da ist das andere!«, meldete John aufgeregt. »Da, sehen Sie? An der Insel! Da muss sie sein. Meine Frau, meine ich. Bestimmt hat es sie auf die Insel gespült, oder sie hat dort festgemacht, als der Wind aufkam, und …«
»Wenn sie gleich gelandet ist, als der Sturm aufkam, konnte sie doch über die Brücke an Land«, gab Violas Dad zu bedenken. »Dann wäre sie längst zu Hause.«
Inzwischen war die Brücke nicht mehr zu begehen. Bei diesem Sturm wäre es lebensgefährlich gewesen, über die zum Teil nur zentimeterbreiten Fragmente zu klettern.
»Vielleicht hat sie sich nicht getraut!«, meinte John. »Aber sie ist da, bestimmt! Sie braucht Hilfe. Wir müssen da rüber …«
»Da rüber?«, fragte Violas Vater entsetzt. »Über die Brücke? Das meinen Sie nicht im Ernst …«
»Du kannst gerade mit dem Boot übersetzen«, bemerkte Bill ohne größere Aufregung. Er hatte das erste der Einerkanus bereits eingefangen, an Land gezerrt und umgedreht, damit das Wasser herauslief. »Und dann bringst du das zweite mit. Am besten fahrt ihr beide, wenn Viola in dem zweiten sitzt, ist es leichter zu lavieren.«
Viola starrte ihn an, als sei er nicht bei Trost. »Wir sollen da … rüber?«
»Es sind doch nur ein paar Meter …«, meinte Alan. Auch er wirkte unschlüssig, aber weit eher geneigt, dem Druck nachzugeben als Viola. Wahrscheinlich befürchtete er Ärger mit seiner Ainné, wenn das Boot durch seine Schuld Schaden nahm oder gar verloren ging. »Und nass sind wir sowieso …«
Das Argument war stichhaltig. Wenn sie jetzt noch ein paar Wellen abbekam, würde das kaum etwas an Violas Befindlichkeit ändern. Gerade eine solche Änderung strebte sie jedoch an: Sie wollte nach Hause und ins Bett!
Nun drängte allerdings auch John, der am liebsten selbst übergesetzt wäre, um seine Frau zu retten. Allerdings waren die Boote sehr klein. Viola und ihren Vater – die beide nicht viel wogen – würden sie tragen, aber kaum zwei erwachsene Männer …
»Nun macht
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