Ruf der Dämmerung (German Edition)
standhaft weigerte, wandte Ainné ihre Vielleicht-Taktik bei Alan an. Violas Dad verbrachte also höchst widerwillig halbe Tage im Pferdestall, bestand aber darauf, dass Bill die Tiere vor dem Misten aus den Boxen entfernte. Der alte Mann konnte noch so oft Schmähungen wie Weichei vor sich hin grummeln. Violas Vater kam Pferden nicht zu nahe. Dennoch roch er anschließend durchdringend nach Mist und schien sich selbst nicht mehr leiden zu können. Kevin wurde zwar mit Geschenken überschüttet, schrie aber trotzdem die ganze Zeit. Der Geruch seiner Windeln vermischte sich mit dem Duft von Tannen und Mistelzweigen zu einer betäubenden Mischung. Zu allem Überfluss lief Ahi ihrem Vater an Heiligabend auf dem Campingplatz in die Arme und wurde prompt bedauert und zum Mittagessen eingeladen.
»Die McLaughlins haben dich wirklich allein hiergelassen? Die haben Nerven! Und nun wolltest du zu Viola? Komm rein, du musst doch frieren nach dem langen Weg im Regen – nachher fahre ich dich eben rauf, keine Widerrede. Und morgen kommst du zum Essen, Mensch, es ist Weihnachten, da soll keiner allein sein!«
Viola verbrachte die nächsten Stunden damit, Ahi wenigstens halbwegs einen Eindruck davon zu vermitteln, was unter Weihnachten zu verstehen war. Zudem versuchte sie, ihm ein paar dänische Weihnachtsbräuche einzupauken. Trotzdem fiel er erst mal in Ungnade, weil er sich prompt als Vegetarier outete und absolut nicht gewillt war, Ainnés Truthahn zu probieren. Der war allerdings auch zum Weglaufen – Viola erbat im Stillen die Verzeihung seiner »Kleinen Seele« für die posthume Misshandlung mit Ainnés salzloser, klebriger Füllung. Der übrige Besuch – Ainnés Vetter Brian und seine Frau – schlang trotzdem Unmengen davon herunter und machte sich dann über den Whiskey her. Immerhin ersparte die Notwendigkeit, die zwei zu unterhalten, Viola und Ahi peinliche Befragungen. Und dann konnte Ahi unerwartet punkten, als Brian unbedingt Weihnachtslieder singen wollte. Ahi hatte sich in dieser Richtung alles gemerkt, was in der Schule von Roundwood, im Radio und auf den Straßen zu hören gewesen war. Er sang es jetzt mit seiner schönen hellen Stimme und schaffte es damit, sogar Kevin einzuschläfern. Ainné war danach deutlich besser auf Violas Freund zu sprechen und hatte auch gar nichts dagegen, als sich die beiden in einer Regenpause zu einem Spaziergang verabschiedeten.
»Na, wenn die mal nicht im Bootshaus knutschen!«, kicherte der schon stark angeheiterte Brian. »Und dann gibt’s womöglich bald die nächste Hochzeit …«
Viola wollte etwas Ärgerliches erwidern, aber ihr Vater griff die Bemerkung überraschend auf. »Nichts da, Brian, verkuppele mal keine Kinder! Feiern kannst du demnächst genug: Ainné und ich lassen uns kirchlich trauen. In einem Aufwasch mit Kevins Taufe, am fünfzehnten März. Alles klar?«
Die Erwachsenen hoben darauf noch einmal die Whiskeygläser, während Viola nicht schnell genug wegkommen konnte.
»Hat sie ihn also doch weichgekocht!«, erregte sie sich, als sie mit Ahi unter einem wolkenverhangenen Himmel zum Seeufer lief. »Und ich darf wahrscheinlich Brautjungfer spielen! Oder Patentante für das Baby …«
Ahi lachte ausgelassen. Auch er hatte Whiskey getrunken, zum ersten Mal in seinem Leben. Es schien ihn zu beflügeln und Viola fragte sich, ob die irische Bezeichnung für Whiskey »uiske beatha« vielleicht etwas mit dem bacha der Amhralough zu tun hatte. Immerhin sprach es sich »ischke baha« – »Wasser des Lebens«. Sprachlich verwandt war es also bestimmt. Aber konnte man das eine vielleicht durch das andere ersetzen? In einem Anflug von Albernheit stellte sie sich einen See voller betrunkener Kelpies vor.
Auf jeden Fall würde sie auf Brian aufpassen müssen. Ainnés Vetter war jetzt schon ziemlich beschwippst und hatte begonnen, mit seinen Erfahrungen als Reiter anzugeben. Wenn dem jetzt ein Kelpie über den Weg lief … Viola fragte sich, wann Ahis Familie wieder jagen musste.
Ahis Umarmung ließ sie dann aber alles vergessen. Sie küssten sich tatsächlich im Bootshaus und sahen hinaus auf den See, über dem jetzt der Vollmond stand. Meistens versteckte er sich zwar hinter Wolken, aber in den seltenen Regenpausen kam er hervor und tauchte das Wasser in ein silbriges Licht. Der unwirkliche Glanz spiegelte sich in Ahis Augen und Viola sah wieder den Märchenprinzen in ihm, der sie schon beim ersten Treffen in seinen Bann gezogen hatte. Schließlich fand sie
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