Ruf der Daemmerung
Möglichkeiten gab.
»Gib mir deine Hand, Ahi, schnell!« Viola umfasste ihn und half ihm, sich aufzusetzen. Sie kämpfte die Panik nieder, sie musste etwas tun - schnell, bevor die Spieler zurückkamen und sie entdeckten. Dies war keine kleine Verletzung, die Jungen hatten Ahi krankenhausreif geschlagen. Aber wenn er da erst landete - sicher gab es anatomische Unterschiede zwischen Menschen und Amhralough ... Eine Untersuchung konnte Ahi entlarven. Aber es gab ja auch andere Heilungsmöglichkeiten. Viola löste den Schutzstein von ihrem Hals. Sie hatte ihn im Ausschnitt ihres Festkleides auf der Haut getragen.
»Das geht nicht, Vio, es ist ... es ist zu viel ... es braucht zu viel ...« Ahi stöhnte und versuchte, sich ihr zu entwinden. Aber Viola spürte bereits, wie ihre Lebenskraft auf ihn überging, wie seine Schmerzen nachließen und seine Wunden heilten.
»Es ist zu schlimm, Vio, hör auf!«, flehte Ahi, aber er konnte sich nach wie vor kaum rühren.
Viola versuchte, sich zu konzentrieren, die Verschmelzung zu intensivieren, obwohl Ahi sich verzweifelt wehrte.
»Das kann dich umbringen, Viola, bitte!«
Viola bemühte sich, die Schwäche nicht zu spüren, die sich in ihr ausbreitete - im selben Maße, in dem Ahi stärker wurde. Seine Stimme klang bereits klarer, die Knochen im Gesicht mussten heilen. Wenn es nur reichte. Wenn es nur schnell genug ging. Wenn Ahi ... wenn Katja ... nur nicht recht behielt ...
Viola kämpfte um ihre Haltung - und darum, bei Bewusstsein zu bleiben. Sie drückte Ahis Hand mit aller Kraft. Um sich selbst konnte sie sich später Gedanken machen. Vorerst musste er in Ordnung kommen. Violas Kopf wurde leer, sie empfand Übelkeit, spürte ihre Glieder plötzlich nicht mehr, und Ahi ... - seine Züge waren wieder erkennbar und er schaffte es jetzt auch, sich aufzuraffen ... aber sein Bild verschwamm vor ihren Augen.
Sie spürte undeutlich, wie er ihren Griff löste. Viola sah, wie er auf die Beine taumelte, sich an der Wand abstützte und entsetzt auf das Mädchen zu seinen Füßen blickte.
»Komm zurück, Ahi ...« Viola rief es nicht wirklich, dazu war sie zu schwach. Aber sie hörte ihre Stimme in seinem Kopf. »Komm zu mir ...«
Aber Ahi wich zurück, und die letzten Gefühle, die Viola von ihm empfing, waren Verzweiflung und Selbsthass. Sie nahm teil an Ahis brennender Scham. Und seiner Angst, sie getötet zu haben.
»Nie wieder ...« Die Worte verschwammen zu einer Melodie, die Viola ins Dunkel führte ...
19
Viola erwachte auf einer Liege im Sanitätsraum. Sie erkannte den grauhaarigen, rundgesichtigen Arzt, der sich über sie beugte. Ein älterer Herr, der das Dorf Roundwood schon seit Jahrzehnten betreute und zu Tode enttäuscht gewesen war, als Ainné McNamara ihn nicht für fähig hielt, sie zu entbinden.
»Dr. Lehan?«, fragte sie. Der Arzt lächelte.
»Na, da bist du ja wieder. Gott sei Dank, ich hatte mir fast schon Sorgen gemacht. Ein ganz dicker Kreislaufzusammenbruch, kleine Lady! Der Junge, der dich gefunden hat, meinte sogar Herzmassage für nötig zu halten, aber geatmet hast du schon noch, als sie dich herbrachten. Was war denn los, Mädchen ... Wie heißt du noch ... du bist die Tochter von Ainnés Mann, oder? Das Mädchen aus Deutschland.«
Viola nickte.
»Ach Gott, dein Vater heiratet ja heute ... Deshalb meldet sich keiner auf dem Campingplatz. Und was hast du dann überhaupt hier gemacht, Süße? Ach, lass mich raten, einen der Jungs angefeuert, oder?« Er lachte.
Viola versuchte, sich aufzusetzen. Sie zitterte. »Ali ... ich muss ...«
»Du musst erst mal gar nichts«, sagte Dr. Lehan gelassen und griff nach einer Decke. »Abgesehen von Ausruhen. Hast du eine Freundin da draußen, sollen wir jemanden ausrufen? Den Jungen könnte ich natürlich auch holen lassen ...« Er sah Viola prüfend an und deckte sie fürsorglich zu.
»Nein ... nein, bloß nicht!« Viola erschrak, regte sich und versuchte, die Decke abzuwerfen. Sie war kratzig und roch irgendwie nach Turnhalle.
Dr. Lehan lachte und drückte sie sanft zurück auf die Liege. »Oh, oh, eine Krise! Und fast ein gebrochenes Herz! Da musst du ein bisschen härter werden, Kind. Jungs halten selten, was sie versprechen. Und wenn sie dazu noch so ein Spiel verlieren, dann geht's erst recht mit ihnen durch - dann sagen sie auch mal was, was sie gar nicht so meinen. Aber gut, die Freundin ...«
»Ist Vio hier?« Shawna stürzte bereits herein.
Offensichtlich hatte sich herumgesprochen, dass
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