Ruf der Daemmerung
irgendwelchen Tabellen schlau zu werden. Sie wandte sich offenbar gern davon ab und lächelte den Mädchen zu. »Kann ich euch helfen?«
Shawna nickte und fragte nach dem Druck, den die Frau ihr daraufhin sofort aus dem Fenster holte.
»Der ist wirklich hübsch!«, meinte sie lächelnd. »Aber unglücklicherweise nicht ausgezeichnet. Ich muss erst nachsehen, was er kostet ...« Unsicher griff sie erneut nach den Tabellen.
»Aber das Pferd guckt nicht richtig«, bemerkte Viola. »Ich meine ... müsste es nicht dunkle Augen haben? Dies hier schaut einen an, wie ... wie ein Mensch ...«
Shawnas Blick spiegelte den beflissenen Ausdruck, der immer auf ihrem Gesicht lag, wenn sie etwas erklären wollte. Vor allem über Pferde. Und möglichst stundenlang ...
»Nun ja, gewöhnlich haben Pferde dunkle Augen. Aber es gibt auch Ausnahmen. Meistens bei ...«
»Aber dies ist kein Pferd, das ist ein Kelpie«, unterbrach sie die Verkäuferin nach einem weiteren flüchtigen Blick auf das Bild. »So heißt der Druck, glaub ich auch, Kelpie. Habt ihr noch nie davon gehört?«
Viola und Shawna schüttelten gleichermaßen den Kopf.
»Wohl von Silkies«, meinte Viola, um nicht vollkommen dumm zu erscheinen.
Die Frau lachte. »Das ist gar nicht so falsch. Auch Kelpies sind Wassergeister. Aber sie erscheinen nicht als Seehunde, sondern als Pferde. Und wer sie reitet, ist verdammt. Sie ziehen ihn hinunter in den See und fressen ihn auf. Oder jedenfalls etwas in der Richtung. Genau weiß ich das nicht, da müsstet ihr Erin fragen, die Besitzerin des Ladens. Erin sammelt diese Geschichten, sie ist total verrückt danach. Ich selbst kenn mich nicht so aus, ich bin mehr für das Diesseitige. So etwas zum Beispiel ...« Sie wies auf einen Ständer mit Silberketten, an denen kunstvoll eingefasste Steine als Anhänger baumelten.
Viola schaute sie fasziniert an.
Die junge Frau freute sich über ihr Interesse. »Gefallen sie dir? Ich hab sie selbst gemacht, ich bin Silberschmiedin und betreibe hier meine Werkstatt. Die Leute sehen gern zu, wie ihr Schmuck entsteht.« Die junge Frau zeigte auf einen noch kleineren Nebenraum, der Arbeitsplatz und Werkzeuge enthielt sowie mehrere noch unfertige Schmuckstücke.
Viola nahm vorsichtig eine der Ketten mit violetten Anhängern vom Ständer.
»Die ist schön!«, befand sie. »Und gar nicht so teuer!«, stellte sie verblüfft fest. »Ich dachte ... ich dachte, die Steine wären wertvoll.«
Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Amethyst? Überhaupt nicht. Eigentlich sind die Steine das Billigste, das Silber schlägt viel mehr zu Buche.«
»Aber ...« Viola kam sich erneut dumm vor, dennoch konnte sie sich nicht bezähmen zu fragen. »Aber sind sie nicht selten? Und schwer zu finden?«
Die Schmiedin zuckte die Achseln. »Hier vielleicht. Aber in Brasilien zum Beispiel gibt es sie in Massen. Meine beziehe ich ehrlich gesagt vom Großhandel, keine Ahnung, woher sie kommen. Wie gesagt, ich hab's nicht mit der Esoterik. Ich weiß auch nicht, was sie bedeuten sollen, oder gegen welche Krankheiten sie angeblich helfen, falls du das wissen willst.«
»Das steht doch alles hier!«, lachte Shawna und wedelte mit einem Buch Das Geheimnis der Heilsteine, das neben den Schmuckständern lag.
Die Frau lachte. »Da seht ihr, wie ich hier den Überblick habe! Aber heute ist mein großzügiger Tag: Wenn ihr eine Kette kauft, dürft ihr kostenlos nachsehen, welche geheimen Kräfte sie freisetzt.«
Viola hatte inzwischen einen Entschluss gefasst. Sie nestelte den Stein, den der Junge ihr gegeben hatte, aus der Tasche. Es war kein Zufall, dass sie ihn bei sich hatte - seit Ali ihn ihr geschenkt hatte, trug sie ihn eigentlich ständig mit sich herum.
»Was ist mit diesem hier? Ist der ... selten?«
Die junge Frau nahm ihn ihr aus der Hand und betrachtete ihn prüfend. Viola beobachtete sie dabei fast eifersüchtig. Es gefiel ihr nicht, dass die Fremde den Stein berührte.
»Ein hübsches Stück. Hast du ihn selbst gefunden? Dann ist er für dich sicher wertvoll!«, meinte die Schmiedin freundlich. »Wenn du möchtest, mache ich dir eine Fassung dazu. Dann kannst du ihn um den Hals tragen. Mit fünfzehn Euro bist du dabei.«
Viola schwankte. »Ja ... nein ... wie lange würde das denn dauern? Wir ... wir sind nur heute hier und ...«
»Dein Vater kann die Kette doch abholen, wenn er in die Stadt kommt«, sagte Shawna. »Will er nicht mit Ainné zu diesem Ultraschall-Dings?«
Viola schüttelte heftig den
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