Ruf der Daemmerung
Mann zunächst zu bannen, und als er dann total verliebt in das Mädel ist, lassen sie ihn los, aber er bleibt freiwillig. Wie gesagt, die Geschichten sind Legion. Es gibt sie überall, wo Pferde halbwild leben. Shawna kampiert ja neuerdings auch mit einem Halfter am See, seit da wilde Ponys aufgetaucht sein sollen. Ich hab allerdings nie welche gesehen. Und auf Kelpie-Damen scheine ich auch nicht allzu attraktiv zu wirken ...« Er zwinkerte ihr zu.
Viola dachte an Lahia, die Patricks Lebensenergie zweifellos einiges abzugewinnen wüsste. Aber trotz seines Interesses an alten Sagen wäre Patrick wohl eher auf das Auto mit steckendem Zündschlüssel hereingefallen als auf ein Pferd. Autofahren lag ihm und so brachte er die McNamaras heute ebenso schnell wie sicher nach Dublin und in die Klinik. Er fand auch in Sekundenschnelle heraus, wie man möglichst nah an den Kreißsaal herankommen konnte, und ließ Ainné und Alan direkt davor aussteigen.
»Viel Glück, Ainné!«, wünschte er vergnügt. »Und ich erwarte, dass Sie den Kleinen nun wenigstens Patrick nennen!« Er winkte den McNamaras zu, aber Alan und Ainné sahen sich nicht mehr um.
»Völlig weggetreten«, bemerkte Viola kopfschüttelnd und half dann noch bei der Parkplatzsuche. Wenigstens einer sollte am Ende schließlich wissen, wo das Auto stand ...
Patrick lachte gutmütig. »Also: Lass dich nicht fressen!«, verabschiedete er sich schließlich von Viola und wandte sich der nächsten Bushaltestelle zu. »Oder sollen wir noch einen Kaffee trinken? Das da drin dauert sicher ewig.«
Viola glaubte das auch, lehnte aber trotzdem ab. Womöglich würde ihr Vater sie brauchen. Sie hatte keine Ahnung, ob er Blut sehen konnte und inwieweit er den Aufregungen einer Geburt überhaupt gewachsen war. Erst jetzt fiel ihr auf, wie sehr ihre Mutter und sie selbst Alan immer betüdelt hatten. War ihm das vielleicht auf die Nerven gegangen? Gefiel Ainnés Gekeife ihm besser? Weckte sie - bacha - in ihm?
Viola langweilte sich volle drei Stunden auf dem Flur vor dem Kreißsaal und schlief dort schließlich ein. Wohl gefördert durch das unbequeme Lager, fiel sie dabei von einem Albtraum in den nächsten. Sie sah Kelpies Kinder stehlen und fressen, und sie sah den abgeschlagenen Kopf des Kindes der Menschenfrau. Erst gegen Morgen wechselten die Träume zu freundlicheren Bildern und sie fand sich mit Ahi unter dem Mantel eines weisen Druiden.
Und dann schüttelte sie jemand und sie blickte in ein freundliches Gesicht unter der Haube einer Krankenschwester.
»Du bist die frischgebackene große Schwester?«, fragte sie lächelnd. »Du kannst jetzt reinkommen und dein Brüderchen bewundern. Dein Dad und deine Mom warten schon.«
Viola wollte erklären, dass Ainné alles andere war als ihre Mom, aber dann erschien ihr das zu kompliziert. Noch schlaftrunken folgte sie der Schwester in ein typisches Krankenhauszimmer, das allerdings mit ein paar bunten Wandbildern und einem Mobile über dem Kinderbettchen freundlicher gestaltet war. Ainné lag im Bett und hatte ein dick in Decken gewickeltes Baby auf dem Arm, Dad saß daneben und konnte sich gar nicht darüber einkriegen, wie wunderschön der kleine Kevin sei und wie sehr er ihm ähnelte. Viola fand ihn bislang nur ziemlich runzelig und rotgesichtig - wenn er jemandem aus der Familie ähnelte, so folglich eher Bill. Aber sie wusste, was von ihr erwartet wurde, und lieferte die üblichen Begeisterungsbezeugungen. Schließlich nahm sie das Baby auch auf den Arm, weil ihr Dad darauf bestand, während Ainné eher besorgt und eifersüchtig wirkte.
Da ihr Dad sich kaum losreißen konnte, nahm Viola schließlich den Bus zurück nach Roundwood und versprach halbherzig, am Abend wiederzukommen. Dann könnte sie ihr Brüderchen noch einmal sehen und ihr Vater würde sie anschließend heimfahren. Viola hätte sich zwar erheblich lieber mit Ahi getroffen, aber ihr Daddy erwartete Begeisterung und sie erwarb sich damit immerhin einen schulfreien Tag. Viola gedachte, ihn zu verschlafen. Die Nacht im Krankenhausflur war nun wirklich nicht erholsam gewesen.
Aber dann erwartete sie schon am Eingang des Campingplatzes ein völlig verwirrter, todunglücklicher Guinness. Offensichtlich hatte Bill den Hund gestern Abend nicht mit ins Haus genommen. Auf jeden Fall drängte sich das Tier winselnd an Viola. Daraufhin gab sie ihre Tagesplanung seufzend auf. Schlafen konnte sie immer noch. Aber jetzt schien strahlend die Sonne, zur Schule zu
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