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Ruf der Daemmerung

Titel: Ruf der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riana O Donnell
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vermischt mit Gefühlen und Gedanken.
    Viola sah ein Baby, das sich an die glatte, kühle Haut seiner Mutter schmiegte, und hörte ein betörendes Wiegenlied. Das Kind war nicht rot und faltig wie Kevin, sondern zart und süß, mit langen Wimpern über schrägen Augen, in denen sich jetzt schon das Blau des Sees spiegelte. Sie hörte noch mehr fremdartige Musik und sah ein lebloses Fohlen im Gras. Aber dann spürte sie Lebenskraft in sich aufsteigen und empfand ungläubige Freude, als sie plötzlich vier Beine zu haben schien. Lange, noch ungeschickte Beine, die einen schmächtigen Fohlenkörper in tapsigen Bocksprüngen über eine mit Felsen bedeckte Weide in den Bergen wirbelten. Sie fühlte das eiskalte Wasser des Sees, aber empfand es als streichelnd und belebend, als sie später im Körper eines übermütigen Kindes mit Fischen um die Wette schwamm. Sie genoss die Bewegung, die so ganz anders war als die mühseligen Schwimmstöße der Menschen - Viola sah eine jüngere Lahia, die Ahi neckte und an den Haaren zog. Sie erlebte, wie der silberne Hengst neben der schiefergrauen Stute aus dem Wasser stieg, durchs Schilf galoppierte. Sie sah Ahi in menschlicher Gestalt in einem Kreis anderer Kelpies sitzen und seltsame Instrumente spielen, folgte seinem geschmeidigen Körper in einen Tanz mit Wellen und Strömungen zu unwirklich schöner Musik.
    Und dann sah sie den silbernen Hengst aus dem See treten, an einem verhangenen Abend, fühlte sein Erschrecken, als etwas vor ihm aus dem Schilf sprang - wieder ein Gefühl der Kleinen Seele, der Ahi sich damals überlassen hatte. Viola verstand jetzt auch das. Es war schön, in eine Welt einzutauchen, in der alles einfach war und nichts zählte, außer der Süße des Grases und der wärmenden Sonne auf dem Fell. Sie erlebte die kraftvollen Galoppsprünge, mit denen der Hengst davonstürmte - und sah einen Zaun vor ihm aufragen, wo bisher nur trockene, weitläufige Wiesen gewesen waren. Viola spürte das Entsetzen des Kelpies, rettete sich in einen Sprung - und fiel ...
    Dann brach die Bilder- und Gefühlsflut ab, Ahi schien das »Album« zugeschlagen zu haben.
    »Wow!«, sagte Viola, woraufhin Ahi sie verwundert ansah. Den Ausdruck hatte er noch nie gehört, und sie musste fast darüber lachen, wie es hinter seiner Stirn zu arbeiten schien. Mittlerweile sah sie ihm an, was er dachte - oder war da immer diese leichte, nicht greifbare Verbindung zwischen ihren Seelen?
    »Das Lieblingswort meiner Freundin Katja, um Verblüffung auszudrücken«, erklärte sie. »Jedenfalls bin ich beeindruckt. Das schlägt jede Multimediashow. Aber du hast mir nicht alles gezeigt!« Als Ahi sie losließ, um weiter am See entlangzuwandern, regte sich ihre Skepsis wieder. »Was ist mit ... der Jagd?«
    Ahi sah sie unwillig an. »Du weißt, dass ich noch nie gejagt habe!«, erklärte er heftig.
    Aber Viola ließ ihn nicht so leicht davonkommen. »Und das ...« Beinahe hätte sie Fressen gesagt, beherrschte sich dann aber gerade noch. »Aufnehmen von bacha?«, formulierte sie freundlicher.
    Ahi senkte den Kopf. »Ihr fotografiert auch nicht alles ... «, bemerkte er dann. »Es gibt Dinge, die ... Ach, Viola, nun stellst du es dir wieder derart blutrünstig vor. Aber das ist es gar nicht. Es ist nur - nichts für Außen - stehende ...«
    »Auf einmal bin ich außenstehend?«, bohrte Viola, jetzt wirklich verärgert. »Eben waren wir noch verwandte Seelen.«
    Ahi seufzte. »Ich werde dich mitnehmen. Du musst ... es mit eigenen Augen sehen.«
    »Das Aufnehmen von bacha?«, fuhr Viola entsetzt auf. »Vielen Dank, kein Bedarf. Ich stehe ungern auf der falschen Seite der Speisekarte.«
    Ahi rieb sich die Stirn. Er wirkte angestrengt. Seine »Diashow« schien eine Menge bacha zu verbrauchen. »Natürlich nicht nach einer Jagd. Aber du musst meine Welt sehen, meine Leute. Wir sind keine Ungeheuer, du musst dich einfach davon überzeugen. Wirst du morgen mit mir kommen, Viola? Wenn deine Schule aus ist, aber die Sonne noch hell am Himmel steht? Nein, denk jetzt nicht, dass wir in der Dämmerung gefährlich sind. Es ist nur ... unsere Welt ist schöner, wenn das Licht sich im Wasser bricht. Wenn die Sonne unsere Täler erreicht und unsere Haine beleuchtet. Ich ...«
    Er wollte ihr seine Heimat von der besten Seite zeigen. Viola war gerührt. Auch von der Liebe, die aus seinen Worten sprach und die sie vorhin mitgefühlt hatte. Die Liebe zu dem See, den Wellen, den Pflanzen, die ihn streichelten, wenn er nah am

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