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Ruf der Drachen (German Edition)

Ruf der Drachen (German Edition)

Titel: Ruf der Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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gut wie nichts – nicht einmal, wann die Speier überhaupt gebaut worden waren. Und ob die Gravur sich schon von Anfang an auf ihnen befunden hatte oder erst jetzt, im Zuge der versteckten Nachrichten, dort angebracht worden war. Dass jemand die Nachricht versteckt hatte, stand für mich außer Frage. Es sollte eine Warnung sein. Nur wovor genau, daran biss ich mir gerade die Zähne aus.
    Es wäre vernünftig gewesen, all das auf sich beruhen zu lassen, doch ich konnte es nicht. Irgendetwas trieb mich an, die Spur weiterzuverfolgen. Als hätte mich eine große Sehnsucht gepackt nach der Erforschung von etwas Tieferem, als mir bisher jemals untergekommen war.
    Ein Umbruch steht bevor …
    Wie hätte ich dies zur Kenntnis nehmen und dann einfach weitermachen können, als wäre nichts geschehen? Es war etwas geschehen, eine seismografische Erschütterung, verborgen in meinem tiefsten Selbst. Das war mehr, als ich damals begreifen konnte. Und doch war das Gefühl eindeutig: Such weiter!
    So verbrachte ich die nächsten Stunden damit, mich in der abgestandenen Luft der Bibliothek durch eine endlos scheinende Flut an Büchern und Dokumenten zu wühlen. Prägungen und Signaturen von Firmen aller Art fand ich in den Beständen, doch keine einzige ähnelte der Sonne auf dem Wasserspeier. Nachmittags – es wurde bereits dämmrig und immer wieder segelten kleine gelbe Blätter vor den Fenstern vorbei, als wären sie eine Erinnerung daran, dass es ein Leben außerhalb von Archiven und Bibliotheken gab – klappte ich schließlich das letzte Buch zu und rieb mir die müden Augen. Es machte keinen Sinn, hier auf unbequem harten Stühlen weiter Zeit zu vergeuden. Ich sollte stattdessen Klarinette üben. Oder Kompositionslehre. Oder aber mich um mein Zweitfach Judaistik kümmern, das eigentlich immer viel zu kurz kam. Stattdessen hatte ich mich in etwas verbissen, das ich mir nicht erklären konnte. Als wäre mein Leben mit all seinen alltäglichen Herausforderungen nicht schon kompliziert genug …
    Mein Blick wanderte zum Fenster und wie so oft in den letzten Stunden blitzte ein Gesicht vor meinem inneren Auge auf. Maren. Sie ging mir nicht mehr aus dem Kopf, so sehr ich es auch versuchte. Ich musste sie wiedersehen. Max hin oder her. Spätestens zum nächsten Seminartermin würden wir uns begegnen, soviel war klar. Sie würde wieder schräg vor mir sitzen und mir würde wenig mehr bleiben als die stille Bewunderung der geschwungenen Linie ihres Halses.
    Ich war nicht gerade ein Frauenheld. Im Gegenteil. Dafür war ich zu zurückhaltend – und außerdem zu speziell. Zwei Freundinnen hatte ich bisher gehabt, aber keine der Beziehungen war von Dauer gewesen. Was wahrscheinlich meiner Neigung zum Einsiedlertum geschuldet war. Maren und ich, das ergab mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine nicht kompatible Mischung. Und trotzdem …
    Ich unterdrückte ein Seufzen. Das Seminar über mittelalterliche Notation war am Dienstag. Und zwischen heute und Dienstag lag ein endlos langes Wochenende.
    Vergiss es, Jakob!
    Kopfschüttelnd suchte ich meine Unterlagen zusammen und verstaute sie in meiner Tasche. Nein, eigentlich sollte ich auf überhaupt nichts warten. Und mich schon gar nicht auf das Wiedersehen mit Maren freuen. Es war keine gute Idee, sich für die Frau zu interessieren, von der mein Mitbewohner etwas wollte. Im besten Fall wäre es Max egal – was ich nicht glaubte –, im schlechtesten Fall würde ich aus meinem WG-Zimmer fliegen. Und das war das Letzte, was ich in Anbetracht der angespannten Wohnungslage in Westberlin gebrauchen konnte! Um mich abzulenken, zog ich einen kleinen Faltplan aus meiner Jackentasche. Berlin. Ich breitete den Bogen vor mir auf dem Tisch aus und beugte mich darüber. Dort, im Südwesten, war der erste Wasserspeier, der mir aufgefallen war. Der zweite befand sich im Südosten, in Marens Hinterhof. War das ein Zufall?
    Ich griff nach einem Kugelschreiber, zeichnete die beiden Punkte auf dem Stadtplan ein und starrte unschlüssig darauf. Dann klappte ich den Plan frustriert wieder zusammen, steckte ihn ein und machte mich auf den Weg nach draußen. Es wurde bereits dunkel und mein Magen knurrte inzwischen unüberhörbar. Höchste Zeit, den Kopf frei zu bekommen.
    ***
    Der »Waschsalon«, eine kleine Jazz-Bar nahe dem Görlitzer Bahnhof, war so verqualmt, dass ich spontan einen Hustenreiz unterdrücken musste. Schon beim letzten Mal, als ich mit Max hier gewesen war, hatte ich mich gefragt, wieso sich

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