Ruf der Drachen (German Edition)
Wänden.«
Maren grinste schief.
»Und ich habe heute einfach keine Lust. Manchmal gibt es wichtigeres als Pflichten.«
Ich nickte stumm und merkte, dass sie mich prüfend beobachtete.
»Wie siehst du das, Jakob? Bist du einer, der sich immer an die Regeln hält?«
Gute Frage. War ich das? Bisher zumindest war mein Leben eher von möglichst großer Unauffälligkeit geprägt gewesen. Wahrscheinlich ein jüdisches Erbe, das sich unterbewusst weitergab.
»Kommt darauf an, denke ich«, antwortete ich ausweichend.
Maren lachte. »Gut zu wissen.«
Erneut das Knarren der Dielen unter meinen Schuhsohlen, als ich zur Tür ging. Es erschien mir merkwürdigerweise wie eine Flucht. Der Türgriff kühl unter den Fingern.
In diesem Moment spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Maren.
»Jakob?«, fragte sie.
Ich trat auf den Hausflur hinaus und drehte mich mit wild pochendem Herzen um.
»Ja?«
Sie zögerte kurz, dann huschte ein Lächeln über ihr hübsches Gesicht. »Danke für die Blumen.« Sie beugte sich vor und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. Dann schloss sich die Wohnungstür.
***
In meinen Knien breitete sich ein Schweben aus, während ich die knarrenden Stufen hinunterging. War das gerade wirklich passiert? Hatte Maren mich geküsst?
Nur auf die Wange, sicher, aber trotzdem …
Das war wohl mehr, als Max jemals von ihr erwarten konnte. Nur – wieso erfüllte mich das mit einem stillen Triumph?
Ich schüttelte heftig den Kopf, wie um diese Gedanken zu vertreiben, und trat in den Hof hinaus. Mein Blick glitt kurz nach oben zu den Fenstern von Marens Wohnung. Sie war nirgends zu sehen. Doch das hatte ich auch nicht erwartet. Wahrscheinlich war sie sofort wieder unter die Decke gekrochen. Leider ohne mich.
Ich seufzte leise, straffte die Schultern und machte mich auf den Weg zurück zum Tor, zurück über das ausgetretene Kopfsteinpflaster. Jetzt hatte ich auch die Ruhe, mich umzusehen. Es war einer dieser typischen Berliner Hinterhöfe, von allen Seiten durch vierstöckige Häuser aus der Gründerzeit umrahmt. Einige Bäume fristeten im Hof ein eher trauriges Dasein und hatten den Boden schon frühzeitig mit ihren gelben Blättern bedeckt. Das nasse Laub schmiegte sich an meine Schuhe wie feuchtes Papier und der deutlich herbe Geruch der Kohleöfen hatte sich im Kessel des Hofes gesammelt wie die Ankündigung eines bevorstehend harten Winters.
Ich hatte ungefähr die Hälfte des Hofes durchquert, als ich wie angewurzelt stehen blieb. Mein Blick war auf die Wand des Hinterhauses gefallen. Von dem tristen Beigegrau hob sich ein kleines Becken ab, dessen meerblaue und türkisgrüne Fliesen mit der Zeit ein Craquelémuster angenommen hatten. Hier und da war eine Stelle im Mosaik abgeplatzt. Doch nicht was ich sah, hielt meine Aufmerksamkeit gefangen. Es war vielmehr das, was ich hörte: Ein rhythmisches Plätschern war fast unmerklich an mein Ohr gedrungen. Es stammte vom Kopf eines Wasserspeiers, der aus einer metallenen Muschel herausragte und in das Becken mündete. Ein Drache! Und er ähnelte dem Wasserspeier in Friedenau so frappierend, dass ich meinen Augen kaum traute. Die silbrigen Schuppen, das Glitzern der blauen Steinchen, die die Augen ausfüllten – und selbst das kleine Sonnensymbol! Alles war so wie an der Stadtvilla der Meinerts!
Ich trat näher und blieb direkt vor dem alten Brunnen stehen. Der Wasserspeier schien außer Betrieb zu sein, doch am Boden des gemauerten Beckens sah ich eine Spur Feuchtigkeit. Diese konnte aber ebenso gut vom Nebel stammen, der sich noch immer hartnäckig über der Stadt hielt. Doch ich hatte etwas gehört. Oder war es Einbildung gewesen?
Unschlüssig wartete ich eine weitere Minute, zunehmend unruhiger werdend. Ich konnte schlecht den ganzen Tag in diesem Innenhof herumlungern. Was, wenn der Wasserspeier tatsächlich nicht mehr funktionierte? Dann vertrödelte ich hier nur meine Zeit. Und erregte wahrscheinlich eher Marens Misstrauen als ihre Sympathie. Trotzdem konnte und wollte ich die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen. Dafür war die Ähnlichkeit der Wasserspeier einfach zu seltsam.
Mein Unbehagen nahm von Sekunde zu Sekunde zu, doch dann, endlich, ertönte ein leises Gurgeln. Ein Schwall Wasser schoss aus dem breiten Maul des Drachen und wäre ich nicht reflexartig einen Schritt zurückgewichen, so hätte ich die Hälfte der Fontäne abbekommen. Atemlos beobachtete ich, wie dieses kleine Schauspiel sich acht Mal wiederholte. Dann
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