Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
einer Frau. Die Versammelten drängten sich dichter ans Bett und murmelten tröstend auf jemanden ein.
„Immer gemach mit dem Pressen! Es wird schon kommen, das Kind“, riet eine stämmige Alte, die sich energisch die Ärmel aufkrempelte. Es war die Hebamme, wie Sophie ohne Mühe erriet, aber die düster verkniffenen Brauen der Frau behagten ihr ganz und gar nicht.
Ganz offenbar sollte einem Kind auf die Welt geholfen werden. Was aber hatten die Männer im Zimmer zu suchen?
Als die in den Wehen liegende Gebärende erneut gellend schrie, zuckte Sophie erschreckt zusammen, als wäre sie vor eine Wand gelaufen. Offensichtlich fürchtete die werdende Mutter um ihr Leben, doch war es ein anderes Wesen, das ebenfalls Todesängste litt und Sophie noch näher heranzog.
Ein Mädchen!, durchzuckte es sie, und auf der Stelle fühlte sie sich auf bestürzende Weise mit dem Kind im Mutterleib verbunden. Die Kleine war erschöpft, wenngleich sie verzweifelt ans Licht der Welt verlangte, fast schon mutlos im Angesicht dessen, dass sie mit ihrem winzigen Körper den Strapazen dieser Niederkunft nicht gewachsen war.
Von Mitgefühl überwältigt, schwebte Sophie über dem Grüppchen aus Frauen, ohne jedoch zu wissen, wie sie die Tat vollbringen sollte. Unten auf den Linnen wand sich ein Weib mit lohfarbenem Haar, umringt von all den Umstehenden, auf deren Gesichtern Hilflosigkeit und Furcht wie eingemeißelt standen. Als ihr Leib sich zusammenkrampfte, verzog die Gebärende vor Qual das Gesicht, und Sophie spürte sofort die wachsende Todesangst des noch ungeborenen Kindes.
Es lag falsch herum im Mutterleib, und seine Zeit, sich noch zu drehen, schwand rasch dahin. So deutlich sah Sophie den Kampf des Kindes, als wäre sie selbst bei dieser Qual dabei. Wenn sie die Augen schloss, fühlte sie auch den Druck des Mutterleibes, der sie unablässig vorwärtspresste, als wäre es sie selbst, die da gerade zur Welt kam. Diese Strapaze konnte das Kind nicht überleben, das merkte Sophie, die nun die Todesangst am eigenen Leib verspürte. Und ehe sie überhaupt mitbekam, was da geschah, schwebte sie auch schon unmittelbar über der Gebärenden.
Inzwischen war das Ungeborene wohl zu erschöpft, um die Drehung noch aus eigener Kraft zu bewältigen. Lange hatte das kleine Mädchen gekämpft; nun war es dringend auf fremde Hilfe angewiesen. Erwartungsvoll schaute Sophie die Hebamme an und stellte zu ihrem Schrecken fest, dass diese offenbar nicht recht wusste, was sie nun tun sollte. Die Unentschlossenheit spiegelte sich in ihren derben Zügen.
„Drehe das Kind!“, schrie Sophie ihr im Geiste zu, doch die Geburtshelferin beachtete ihre Aufforderung nicht. Eine unsichtbare Schranke bestand zwischen Sophie und der Szenerie im Raum, sodass Sophie ihre neu gewonnene Fähigkeit verfluchte, war sie doch offensichtlich nicht mehr als nur eine Vision. Wie diesem Kind beistehen, wenn es doch gar nicht in ihrer Macht stand? Welchem Zweck sollte ihre übersinnliche Kraft dienen, wenn sie doch nur einem Ungeborenen bei dessen sinnlosem Sterben zusehen durfte? Dabei kannte sie sich inzwischen in der Heilkunst aus und hätte ihr Wissen nutzbringend anwenden können.
Ach, hätte die Hebamme nur gewusst, was zu tun war!
Die Gebärende auf dem Bett keuchte erstickt; ein tiefroter Fleck breitete sich auf den Laken aus. Blutgeruch stieg Sophie in die Nase, und abermals war es ihr ein Rätsel, wieso sie solche Einzelheiten im Traum wahrnahm.
Doch das entkräftete Ungeborene regte nun Sophies Tatendrang derart an, dass sie sich nicht länger zurückhalten konnte. Ihr Wunsch zu helfen war schier übermächtig. Noch näher schob sie sich an die Hebamme heran, ohne indes genau zu wissen, wie sie das Weib dazu bringen konnte, das Kind zu retten. Unbewusst bewegte sich die Hebamme zur Seite, wodurch Sophie etwas mehr Bewegungsfreiheit erlangte und neue Hoffnung schöpfte.
„Wende das Kind“, flüsterte sie der Frau eindringlich ins Ohr, als wolle sie ihr auf diese Weise ihren Willen aufzwingen. Schon streckte die Hebamme die Hand nach der Niederkommenden aus, doch sie wirkte noch zögerlich, als wisse sie nicht so recht, was sie tun sollte.
Von wachsender Ungeduld ergriffen, spürte Sophie nun auch, wie das Ungeborene verzweifelt die Schulter im engen Mutterleib drehte, während die Hebamme ihre unbeholfene Hand wieder sinken ließ. Die Zeit verrann; bald würde es zu spät sein für dieses kleine Wesen, das so tapfer um sein Leben kämpfte. Sophie war
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