Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
Zehnfache schöner. Die Nachricht von seinem Glück verbreitete sich in Windeseile in Nah und Fern. Sein Burgsaal war immer voll von Besuchern, und der junge Burgherr konnte sich des Verdachts nicht erwehren, dass viele der Gäste nur deshalb erschienen, um einen Blick auf seine vollkommene Braut zu werfen. In seinen eigenen Augen kam ihr auch keine gleich an Anmut und Eleganz, und während die Zeit verging, stieg auch in ihm die Sehnsucht nach jenem Anblick, welchen sie ihm verwehrte.“
Abermals hielt die Erzählerin inne und streute Kräuter ins Feuer, das zu glimmenden Resten heruntergebrannt war. Wie gebannt schaute Sophie zu, als die Flammen die trockenen Stängel verzehrten, und der bläuliche Rauch, der sich kräuselnd erhob, gaukelte ihr allerlei phantastische Gestalten vor – Gesichter sowie Gefieder und manch absonderliches Getier.
„Melusines Zeit war nahe, als der Edelmann schließlich sein Versprechen brach. Überzeugt, er werde gewiss unbemerkt bleiben, verbarg er sich eines Abends hinter den Bettvorhängen, als sein Weib sich ein Bad bereiten ließ. Nachdem die Mägde gegangen waren, verriegelte sie sorgsam die Tür und entledigte sich in aller Ruhe ihrer Kleider. Und als sie anmutig den Zeh ins Wasser hielt, um zu fühlen, wie heiß es sei, verzehrte der Edelmann sich regelrecht vor Begehren.
Mit einer Hand stützte sie ihren schwellenden Leib, während das Kerzenlicht ihre weiblichen Rundungen koste. Bald wusste der junge Gemahl nicht mehr, wie er das Warten noch aushalten sollte, doch er durfte sich nicht verraten. Nun trat sein Eheweib vollends hinein in den Zuber, hob dann den Wasserkübel und ließ sich das köstliche Nass verzückt über den nackten Körper rinnen.
Und in diesem Moment gewahrte der Edelmann etwas, das ihn für den Rest seiner Tage verfolgen sollte.“
Die Ältere hielt in der Erzählung inne. Wenngleich von einer sonderbaren Mattigkeit erfasst, beugte Sophie sich gespannt vor.
„Was sah er denn da?“, fragte sie forschend und bemerkte selbst durch das Halbdunkel hindurch das Glimmen in Melusines Augen.
„Er sah einen Schwanz“, erzählte sie leise und voller Behagen. „Einen mächtigen, dicken, schlangenartigen Schweif, der sich im Badewasser ringelte und dort, wo eigentlich die Beine seines Weibes sein mussten, den Badezuber ausfüllte, schuppig und von gelblich-grünlicher Farbe.“
Als Sophie vor Entsetzen erschauerte, neigte sich die Erzählerin ihr noch näher zu. „Wie der Edelmann da reagierte, kannst du dir gewiss ausmalen. Leider offenbarte er sich nun seinem Weib und bezichtigte es lauthals der Hexerei. Die Badende ihrerseits beschimpfte ihn auf das Ärgste und warf ihm wutentbrannt vor, sein Wort gebrochen zu haben.
Der lautstarke Streit rief eine ganze Schar von Dienern und Mägden auf den Plan, doch keiner konnte die Kammer betreten, war sie doch abgeriegelt. Als Herr und Herrin endlich die Tür aufschlossen, sah es für die Außenstehenden so aus, als sei überhaupt nichts vorgefallen – abgesehen davon, dass der Burgherr verkündete, er weise seiner Gemahlin die Tür.
Ob dieser Wendung erhob sich natürlich große Empörung, denn niemand vermochte sich vorzustellen, was der Herr seiner liebenswürdigen Gattin, zumal in ihrem schwangeren Zustand, überhaupt vorzuwerfen hatte. Er weigerte sich jedoch, darüber zu sprechen. Auch Melusine verlor über den Vorfall kein Wort. Nein, sie verließ die Burg und nahm dabei nichts mit außer den Habseligkeiten, die sie einst mitgebracht. Und als sie mit stolz erhobenem Haupt durchs Burgtor schritt, tat sie allen herzlich leid, und mancher bot ihr Hilfe an. Sie aber verschwand im Wald, und seitdem hat man nie wieder von ihr gehört.“
Schweigen erfüllte die Kate fast so wie der kräuselnde Qualm. Sophie furchte fragend die Stirn. „Und was wurde aus dem Ungeborenen?“
Melusine zuckte die Achseln. „Über das Schicksal des Kindes wird mancherlei erzählt“, sagte sie mit düsterer Miene. „Manche meinen, es sei tatsächlich als Lindwurm geboren worden. Andere wiederum sagen, der Burgherr sei gezwungen gewesen, sein eigen Fleisch und Blut zu töten. Wieder andere behaupten steif und fest, Melusine hause auch nach wie vor im Wald, wo sie gemeinsam mit ihrem Kind den Menschen das Leben schwer mache. Es gibt auch Stimmen, wonach sie mit ihrem Kindlein zum Meer gewandert sei und nunmehr wieder in ihrem Reich lebe, nämlich in den Tiefen der Wellen. Und weiterhin sagen einige, ihre Brut wandele unter uns
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