Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
nicht los, Hugues müsse sie an diesem Abend eigentlich erkannt haben.
Doch dem war nicht so. Es war ihr auch gleich, ob er sie nicht erkennen konnte oder es einfach nicht wollte. Den Tränen nahe, kehrte sie der Festtagsstimmung den Rücken zu und schwang sich aufs Neue empor zu den Sternen.
Sophie erwachte auf dem harten Hüttenboden, splitternackt und bedeckt mit ihrem Mantel, die Muskeln verspannt, die Haut noch fettig und empfindlich von der Salbe. Mühsam wälzte sie sich auf den Rücken. Das Feuer war längst erkaltet; die Strahlen der Morgensonne krochen durch den Spalt zwischen Türrahmen und Tür.
Wie viel Zeit mochte verstrichen sein?
Ihre Zunge fühlte sich dick und pelzig an; sie sah nur verschwommen, und als sie versuchte, sich hochzustemmen, setzte dröhnender Kopfschmerz ein. Sie wickelte sich enger in ihren pelzgefütterten Umhang und bemerkte auf einmal, dass Melusine sie aus einem Winkel der Kate beobachtete. Im schattenhaften Halbdunkel der Hütte funkelten ihre Augen wie Geschmeide.
„Du allein hast die Wahl.“ Mehr sagte sie nicht, die Stimme tiefer als gewöhnlich. Ehe Sophie eine Erklärung einfordern konnte, erhob die Ältere sich und ging leichten Schrittes hinaus. Sophie blieb einsam zurück, um den Gedankenwirrwarr in ihrem Kopf zu ordnen.
„Für einen frischgebackenen Paten schaust du aber trübsinnig drein“, bemerkte Jean, als er sich zu Hugues gesellte. Der zuckte erschrocken zusammen und wurde aus seinen Grübeleien gerissen.
„Das liegt bloß am Wetter“, gab er ausweichend zurück, worauf sein Schwager nur süffisant brummte, wie Hugues mit Argwohn feststellte. Die Hände auf die Brustwehr gelegt, musterte Jean ihn mit einem scharfen Seitenblick von oben bis unten. Offenbar, so erkannte Hugues mit einigem Unbehagen, hatte der Schwager ihn durchschaut, auch wenn er sich nun abwandte und die allmählich reifenden Äcker ringsum betrachtete.
Nun, da der sanfte Frühjahrsregen unablässig fiel, wurde die Hügellandschaft von Pontesse allmählich wieder grün. Erst jetzt bemerkte Hugues auf einmal, dass seine Schultern und sein Haar bereits klatschnass waren. Die milde Luft jedoch war so voller frühlingshafter Verheißung, dass er die Feuchtigkeit gar nicht wahrgenommen hatte.
Fünf Monde waren nunmehr vergangen, seit er Sophie draußen im Wald verlassen hatte. Fünf Monate, und jeder einzelne Augenblick eine Ewigkeit. In dieser Zeit war er im Auftrag der Regentin schon wieder in die Gascogne gereist, danach auch nach Paris, doch jedes Mal vergebens. Die Städte hatten sich auf die Seite der Normannen geschlagen. Der Steuereintreiber, auf den Hugues so große Hoffnung gesetzt hatte, zeigte sich erst, nachdem der Pakt bereits geschlossen war – auch das ein Zeichen seiner Pechsträhne, wie Hugues wehmütig erkannte. Und wie um allem die Krone aufzusetzen, wollte Jean nun auch keinen billigen Wein aus der Gascogne mehr kaufen, um damit seine Weinkeller zu füllen.
„Immerhin hat der Alte den Winter überstanden“, knurrte Jean, als könne er Hugues’ Gedanken lesen.
Hugues nickte. „Wenn einer ihn aufzumuntern versteht, dann ist es Justine.“
Jean lachte verhalten. „Das kann man wohl sagen. Erstaunlich, wie viel Zeit sie in seiner Gesellschaft verbrachte.“
„Vermutlich will sie etwas von ihm,“ bemerkte Hugues, der seine Schwester kannte wie kein zweiter.
„Und sie kriegt es wahrscheinlich auch“, unterstrich sein Schwager lapidar. „Sie hat ihren Charme bestimmt nicht umsonst spielen lassen.“
„Genau. Er hat ihr noch nie etwas abschlagen können.“ Die beiden Männer blickten sich an und verstanden sich. Hugues sah, wie in Jeans Augen etwas aufflackerte. Es grauste ihm schon vor dem, was er sich nun würde anhören müssen.
„Und was ist mit deiner Sophie, Hugues?“, fragte Jean leise.
Hugues spürte, wie ihm die Röte über den Hals kroch. „Ich weiß nichts von ihr“, versetzte er düster. Es wäre ihm lieber gewesen, Jean hätte sich weiter der Landschaft ringsum gewidmet, statt ihn so eingehend zu mustern.
„Und ich dachte immer, ihr wäret füreinander bestimmt“, warf Jean ein.
Jetzt konnte sich Hugues ein verächtliches Schnauben nicht länger verkneifen. „Das dachte ich auch“, fauchte er bissig und wandte sich zu seinem Schwager um. „Und dennoch stellt sie sich dort im Wald vor mich hin und sagt mir, ihr Schicksal sei nicht länger mit meinem verknüpft.“
„Hätte ich nicht gedacht, dass die Vorsehung so rasch ins Wanken
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