Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
gerät“, befand Jean. Seine Bemerkung deckte sich dermaßen genau mit Hugues’ Gedanken, dass der nicht umhinkam, abermals zu schnauben.
„Ich ebenso wenig“, grummelte er und stützte missmutig die Ellbogen auf die Brustwehr. „Ich ebenso wenig.“
Wie schon zuvor versanken die beiden in unbehagliches Schweigen. Es wäre Hugues lieber gewesen, sein Schwager hätte sich nun getrollt, damit er sich ungestört seinem Groll hingeben konnte. Kam die Rede auf Sophie, so verstärkte das nur seinen Zorn auf sie und bewies ihm einmal mehr, wie unvernünftig ihre Entscheidung gewesen war.
Wie konnte sie sich ihm nur so hemmungslos hingeben und sich dann von einem Tag auf den anderen von ihm trennen? Dass er ihr Lust bereitet hatte, stand für ihn außer Frage. Umso unerklärlicher fand er ihr Verhalten.
„Vielleicht dachte sie, sie habe noch etwas zu tun, ehe sich euer gemeinsames Schicksal erfüllen kann“, gab Jean zu bedenken.
Hugues sah ihn argwöhnisch an. „Denken ist ihre Sache nicht“, grollte er. „Das Weib handelt allein nach dem Gefühl.“
Jean schmunzelte, woraufhin Hugues verärgert den Blick abwandte. „Na, dann hatte sie möglicherweise das Gefühl, es gäbe zuerst noch eine Hürde zu überwinden.“
„Vielleicht ist sie nicht ganz bei Sinnen“, versetzte Hugues scharf, und es gefiel ihm ganz und gar nicht, dass sein Schwager in lautes Gelächter ausbrach.
„Aber nein, Hugues“, prustete Jean, nachdem er sich etwas beruhigt hatte, „denn eine Irre könnte nicht so ohne Weiteres das Herz eines klar denkenden Mannes erobern.“
Abrupt hob Hugues den Kopf und sah seinem Schwager direkt in die Augen. „Was soll dieser Unsinn?“, zürnte er scharf. „Kein Mensch hat mein Herz erobert.“
„So?“, fragte Jean ironisch. „Und wieso stehst du dann hier im Regen wie ein liebeskranker Knappe? Fünf Monate sind seit deiner Rückkehr vergangen, und ich habe dich in der Zeit kein einziges Mal lächeln gesehen.“
Hugues schwoll bei diesem Vorwurf der Kamm.„Meine Pflichten drücken mich schwer“, gab er zurück, doch ihm war selbst klar, wie kläglich seine ausweichende Antwort klang. Jeans kritisch hochgezogene Augenbraue bekräftigte dies noch.
Widerstrebend gab Hugues klein bei und seufzte. „Ich hätte niemals geglaubt, dass sie mir den Laufpass gibt“, räumte er kopfschüttelnd ein und schaute blicklos über die Ländereien, über die er eines Tages herrschen sollte. „Ich war dermaßen überrascht, dass ich einfach davonritt, als sie mich fortschickte. Jetzt aber frage ich mich des Öfteren …“
„Was fragst du dich denn?“, wollte Jean wissen, die Augen hell vor Neugier.
„Ob sie mich vielleicht bloß auf die Probe stellen wollte“, erklärte Hugues leise. Als er aufsah, stellte er fest, dass sein Schwager ihn nachdenklich musterte. Dann zuckte er die Achseln, stieß sich gereizt von der Brüstung ab und fuhr sich mit der Hand durch die regennassen Locken. „Andererseits – wer weiß schon, auf was für merkwürdige Gedanken die Frauleute so kommen?“
„Nun“, erwiderte Jean gedankenverloren, „mir scheint, die Mühe lohnt sich, eine Antwort auf diese Frage zu finden.“
Hugues zögerte kurz, nickte dann aber beifällig. „Richtig“, betonte er, und noch während er sprach, nahm ein Gedanke in seinem Kopf Gestalt an. „Richtig, es kann zumindest nicht schaden, es zu wissen.“
„Da Ostern ja nun vorbei ist, werden wir nach Hause zurückkehren. Reite mit uns nach Fontaine, Hugues“, schlug Jean seinem Schwager vor.
Der fand durchaus Gefallen an diesem Vorschlag.„Möglichst noch diese Woche“, willigte er ein und merkte dabei, wie seine Entschlossenheit mit jedem Moment wuchs.
Ein Grinsen überflog kurz Jeans Gesicht. „Jetzt komm aus dem Regen heraus“, bat er, worauf auch Hugues grinste, denn seine Entscheidung erfüllte ihn plötzlich mit neuer Zuversicht.
Vielleicht hatte Jean ja recht und Sophie musste tatsächlich erst etwas mit der Fremden im Wald regeln, ehe sie ihr gemeinsames Leben mit ihm beginnen konnte. Möglich, dass sie ihn wirklich nur auf die Probe stellte; dann jedoch hätte er sie niemals verlassen dürfen. Nicht ausgeschlossen aber auch, dass sie von Sinnen war. Doch das alles interessierte ihn nun nicht mehr. Es war vielmehr die Aussicht auf ein Wiedersehen mit ihr, die ihm das Herz zum ersten Mal seit seiner Heimkehr leichter machte.
Die Abenddämmerung senkte sich bereits nieder, als Sophie endlich die letzten zarten
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