Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
Traum befassen zu müssen.
Irgendetwas musste anscheinend im Gange sein, dass ihre vier Brüder nebst Sophies Eltern zu dieser späten Stunde noch um den Tisch zusammensaßen. Leise schlüpfte Sophie auf ihren angestammten Platz und hörte dem Gespräch zu.
„Hauptsache, die Franken mischen sich nicht in den Transport ein“,knurrte ihr Vater vom Kopfende des Tisches her.
„Das werden sie gleich als Erstes tun, falls sie nur einen Funken Verstand haben“, entgegnete sein Erstgeborener lakonisch, was ihr Vater Gaillard missmutig mit einem schiefen Blick in seine Richtung quittierte.
„Vermutlich verwüsten sie erst die Weinberge“, bekundete ein weiterer Sohn, ehe Gaillard etwas erwidern konnte.
Der Älteste hob seinen Becher. „Das würden sie nicht wagen“, verkündete er, wenn auch mit wenig Überzeugung in der Stimme.
„Was ist denn geschehen?“, fragte Sophie, worauf sechs helle Augenpaare sich auf sie richteten. Alles redete gleichzeitig los, und nur ihrer jahrelangen Erfahrung mit dieser lebhaften Familie verdankte es Sophie, dass sie der Diskussion überhaupt zu folgen vermochte. Einmal in Fahrt, ließen sich ihre Brüder nämlich nur schwer unterbrechen, sodass man stets auf eine günstige Gelegenheit lauern musste, wollte man etwas sagen.
„Hat sich die neueste Kunde etwa noch nicht zu dir herumgesprochen?“
„Ach, unsere Sophie! Wieder einmal versunken in ihren Tagträumereien!“
„Sophie“, mahnte ihr Vater tadelnd, „wann nimmst du endlich mehr Notiz von dem, was um dich herum vorgeht? Louis VIII Capet ist tot, und sein Kind wird nun König werden.“
„Ich glaube eher, dass seine Gemahlin Regentin wird.“
„Was meinst du – ob sie sich uns nun vorknöpfen wird?“ Gelächter brandete auf bei dieser Bemerkung.
„Ich gestehe, dass ich noch immer nicht begreife, um was es geht“, warf Sophie ein.
„Die ganze Stadt redet doch schon darüber, Sophie.“
„Was hast du denn getrieben den lieben langen Tag?“
„Die Zeit vertrödelt, möchte man meinen. Wahrscheinlich mit Gérard, dem Steinmetz, was?“
Gaillard horchte auf. „Ein Steinmetz?“, fragte er aufbrausend.
„Man sollte meinen, bei ihrem Aussehen wäre ihr so ein Meißelklopfer nicht gut genug.“
„Aber auf diesen hier haben sämtliche Weibsleute ein Auge geworfen.“
„Er ist ein fleißiger junger Mann, dieser Gérard“, bemerkte ihre Mutter kühl und sorgte mit ihrem sachlichen Ton dafür, dass mit einem Schlag wieder Ordnung eintrat. Bewusst streng knallte sie einen irdenen Weinkrug in die Mitte des Tisches und musterte ihre Lieben dabei mit einem herrischen Blick. „Von dem könntet ihr Bande euch allesamt eine Scheibe abschneiden.“ Für einen Moment herrschte Stille, bis Gaillard sich verlegen auf seinem Sitz wand und stirnrunzelnd den Holztisch anstarrte.
„Ein gutes Auskommen haben diese Steinmetze allemal“, räumte er mit offensichtlichem Widerwillen ein.
„Sind aber häufig auf Wanderschaft. Nichts Festes für Haus und Herd.“
„Und Arbeit finden sie nur, wenn die Zeiten gut sind.“
„Anders als Weinhändler, denn deren Geschäft floriert in guten sowie in schlechten Zeiten.“
„Wahrhaftig. Entweder gibt es was zu feiern, oder die Leute ersäufen ihren Kummer.“
„Ihr braucht euch nicht den Kopf zu zerbrechen, denn zwischen mir und Gérard ist nichts“, protestierte Sophie, wenngleich ihr Einwand nichts nutzen würde, wie sie aus Erfahrung wusste.
„Nichts?“
„Oho! Vielleicht liegt da der Hase im Pfeffer!“
„Aber ausgerechnet ein Steinmetz?“
„Freilich, so eine Hübsche, die hätte wirklich einen Besseren verdient. Trotz all ihrer Mängel.“
„Dir ist doch wohl klar, dass Papa eine bessere Partie für dich findet als einen Steinmetz?“, fragte ihr ältester Bruder.
Gaillard wirkte bestürzt. „Du hast dich doch nicht etwa zum Gespött gemacht?“, forschte er streng.
Die bloße Vorstellung allein ließ alle verstummen, und Sophie spürte, wie sämtliche Blicke sich auf sie richteten. Bemüht, sich nicht verlegen zu winden, da ihr dies ohnehin nur falsch ausgelegt werden würde, hielt sie der Musterung ihres Vaters entschlossen stand und achtete nicht auf ihre Brüder.
„Selbstverständlich nicht“, versetzte sie kühl, worauf die Schultern ihres Vaters sich sichtbar entspannten, so überzeugend wirkten ihre Worte. „Würdet ihr mir endlich einmal zuhören, so wüsstet ihr, dass mir an dem Kerl nicht das Geringste liegt.“
„Ach ja?“ Gaillard
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