Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
warf ihr einen eindringlichen Blick zu, doch Sophie zuckte nicht einmal mit der Wimper.
„Solltest du wirklich etwas finden an diesem Steinmetz, so wäre jetzt die Gelegenheit, es freiheraus zu sagen“, riet ihre Mutter Hélène im Flüsterton.
Sophie wehrte kopfschüttelnd ab. „Er bedeutet mir tatsächlich nichts“, erwiderte sie leise, was ihre Mutter mit bedächtigem Nicken quittierte. Sophie wurde das ungute Gefühl nicht los, dass irgendetwas in der Luft lag. Doch ehe sie ihre Mutter um eine Erklärung bitten konnte, wandte die sich schon ab, während ihr Vater sich wieder den zuvor besprochenen Problemen widmete.
„Vielleicht wär’s für euch alle zum Besten, wenn ihr euch für die Sache der Normannen einsetzt“, gab er den Söhnen zu bedenken.
Als Antwort erntete er von allen Protestgestöhn. „Wir placken uns doch schon den ganzen Tag“, maulte der Jüngste und drehte die Handflächen nach oben, um seine Schwielen zu zeigen.
„Und diese Woche sollen wieder die Rebstöcke beschnitten werden.“
„Ganz recht“, unterstrich Gaillard munter. „Und eure Unterstützung wird bestimmt noch erforderlich werden, verlasst euch darauf.“
„Hilfe von uns? Wie denn?“
„Was könnten wir schon ausrichten?“
„Morgen Abend weiß ich Näheres“, fuhr Gaillard unbeirrt fort. „Nach der Sitzung des Stadtmagistrats.“
„Also gehe ich mit dir dorthin“, folgerte der Älteste mit einem knappen Nicken.
Zu aller Überraschung schüttelte der Vater energisch den Kopf. „Nein. Es wird Sophie sein, die mich begleitet.“
Verblüfft schaute Sophie auf. Während rings um den Tisch alles empört aufbegehrte, sah sie dem Vater schon an den Augen an, dass er sich nicht würde umstimmen lassen. Wieso hob man sie auf diese Weise heraus? Als dann ihre Mutter auch noch über den Tisch fasste und ihr die Hände tätschelte, schwante Sophie aufs Neue, dass etwas im Gange war.
„Genug!“ Mit einem Wink wehrte Gaillard weitere Fragen der Söhne ab. „Es ist beschlossene Sache. Außerdem wird es Zeit, dass ihr euch aufs Ohr legt. Schließlich erwarte ich, dass ihr ab morgen früh den ganzen Tag euren Mann steht. Wie Bernhard schon sagte, müssen die Rebstöcke gestutzt werden, und bis zum Ende der Woche muss der gesamte Weinberg fertig sein.“
Sophies Brüder stöhnten übertrieben, als sie sich hochstemmten. Der Jüngste warf seiner Schwester über den Tisch einen schrägen Blick zu. „Du hast es gut, du bist als Mädchen geboren“, brummte er, was Sophie mit einem Schmunzeln quittierte. Beiden entging jedoch, wie ihre Mutter scharf einatmete.
„Irgendeinen Ausgleich muss es ja geben, wenn man Brüder wie euch hat“, frotzelte sie, worauf er mit einem spitzbübischen Grinsen reagierte.
Als sie sich umdrehte, um ihrer Mutter etwas zu sagen, stellte sie verwundert fest, dass diese verschwunden war.
Vor der Kirche, in welcher der Magistrat der Stadt seine Sitzungen abhielt, schwang Hugues sich aus dem Sattel seines Schlachtrosses und überließ dem Knappen die Zügel. Obwohl er so tat, als könne ihn kein Wässerchen trüben, war ihm durchaus bewusst, dass man ihm seine Nervosität an der Nasenspitze ansehen musste. Während er sich in aller Seelenruhe die Handschuhe abstreifte, gestattete er sich einen beiläufigen Blick zu dem allmählich dunkler werdenden Himmel über den schindelgedeckten Dächern, als würde ihn nichts bekümmern.
Doch das stimmt nicht, gestand er sich ein. Denn mit einer noch vertrackteren Mission hätte Reine Blanche de Castille, Witwe des verstorbenen Königs und Mutter des Thronfolgers, ihn kaum betrauen können. Kam er doch mit dem Auftrag, diesen misstrauischen Städtern eine Unterstützungsverpflichtung abzuringen. Deshalb sah Hugues einem Treffen mit den Stadtoberen nicht eben in froher Erwartung entgegen. Warum hatte das Weib sich statt seiner nicht einen diplomatisch geschulten Schranzen aus ihrem Gefolge ausgesucht? Warum ausgerechnet ihn, einen einfachen Rittersmann, der sich doch am allerwenigsten für eine derart heikle Aufgabe eignete?
Politik war hier in der Gascogne eine verzwickte Angelegenheit. Während der Adel noch halbwegs die alten Bindungen an die Capetinger und deren unmittelbare Krongüter aufrechterhielt, stand die Stadtbevölkerung naturgemäß unter dem mächtigen Einfluss der engen Verbindungen zwischen ihren Weinregionen und dem normannischen Königshof. Die „Normannen“ – das war das englische Königsgeschlecht der Plantagenet. Schon seit
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