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Ruf Der Tiefe

Ruf Der Tiefe

Titel: Ruf Der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Brandis , Hans-Peter Ziemek
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bei einer Umweltkonferenz in Brasilien. Der Saal ist riesig und bis auf den letzten Platz voll. Auf dem Podium trägt sein Vater etwas vor, ein gut aussehender hochgewachsener Mann, der das Publikum mitreißt mit dem, was er erzählt – der Applaus ist lauter als bei den anderen Referenten, dröhnt durch den Saal wie starke Brandung. Leons Hände schmerzen, so heftig hat er geklatscht.
    Leon atmete tief durch und schob die schmerzhaften Gedanken von sich. Er streckte sich und merkte, dass er nicht nur todmüde war, sondern dass er auch schon wieder Hunger hatte. Warum konnten Menschen nicht so sein wie Tiefseefische, die locker wochenlang ohne Futter auskamen? Alles in ihm sträubte sich dagegen, in die Messe zu gehen. Er fühlte sich noch immer aufgewühlt und durcheinander, wie in aller Welt sollte er es jetzt schaffen, Tim, Alvarez und allen anderen Besatzungsmitgliedern gegenüberzutreten?
    Bring hinter dich das, Zweiarm , empfahl ihm Lucy liebevoll und seufzend folgte Leon ihrem Vorschlag.
    Minh zwinkerte ihm zu, als Leon sich eine Portion Braten mit Kartoffelbrei holte. »Na, geht’s besser?«, flüsterte er.
    Leon verzog das Gesicht, schüttelte den Kopf und warf einen verstohlenen Seitenblick auf Alberto Miguel Alvarez, der an einem der Tische mit Kapitänin Katharina Lorenz plauderte und dabei anscheinend all seinen Charme aufbot. Ständig strich er sich mit der Hand das Haar zurück, das in einer glatten Schwinge über seine Stirn hing. Vielleicht hatte er nicht einmal bemerkt, dass Leon hereingekommen war. Hoffentlich blieb das so. Wem hatte Alvarez erzählt, was vorgefallen war?
    Auch Tim war da, er saß an einem Tisch mit mehreren Forscherkollegen, es war kein Platz mehr frei. Doch Tim winkte Leon trotzdem zu, herzukommen, und zog einen Stuhl von einem anderen Tisch heran. Schweigend, ohne hochzublicken, schaufelte Leon den Kartoffelbrei in sich hinein.
    Mit halbem Ohr hörte Leon zu, wie die Wissenschaftler über die Todeszonen im Meer diskutierten. Minh hatte recht, die Stimmung an Bord war wirklich nicht gut, die Forscher klangen bedrückt und sogar ein bisschen verbittert. Verständlich bei dem, was zurzeit im Meer geschah.
    Nach ein paar Minuten standen die Forscher auf und machten sich wieder auf den Weg zu ihren Labors. Kaum waren sie allein, sagte Tim: »Tut mir leid, okay? Das war ein harter Schlag für dich heute Morgen. Ich hatte eigentlich nicht vor, es noch schlimmer zu machen – habe ich aber, oder?«
    Was auch immer Dr. Tim Reuter falsch gemacht hatte, es war einfach unmöglich, ihm längere Zeit böse zu sein. Auch diesmal spürte Leon, wie seine Wut schwand.
    »Schon in Ordnung«, murmelte er und schob seinen leeren Teller beiseite. »Wahrscheinlich hattest du recht, ich war gerade dabei, in Selbstmitleid wegzusacken. Oder komplett durchzudrehen.« Plötzlich fand er die Kraft in sich, den Kopf zu heben und Tim direkt in die Augen zu blicken. »Tim, ich muss selbst sehen, was dort unten los ist. Lasst mich tauchen. Vielleicht finde ich etwas heraus – ihr müsst mir nur die Chance geben!«
    Einen Moment lang wirkte Tims Gesicht starr und ein kleiner Muskel zuckte an seinem Auge. »Nein, Leon«, sagte er schließlich. »Wir hätten dich schon einmal fast verloren. Du bist noch nicht mal volljährig, wahrscheinlich würde ich vor Gericht gezerrt werden, wenn ich dir jetzt so etwas erlaube.«
    »Hast du wirklich Angst vor so was?«, fragte Leon knapp.
    Tim ging nicht darauf ein. »Und denk doch mal an Lucy, was sollte sie ohne dich anfangen, wenn dir etwas passieren würde? Sie ist so stark auf dich geprägt, dass sie keinen anderen Betreuer mehr akzeptieren würde.«
    »Nicht Betreuer. Partner«, sagte Leon. Schon wieder drehte sich alles um Lucy. War das eigentlich früher und bei seinem letzten Besuch auf der Thetys auch schon so gewesen?
    Sie redeten noch eine Weile über Billie und Shola, die im Moment mit einem kleineren Boot in der Nähe von Big Island unterwegs waren, um zu trainieren.
    »Hat die Rogers es Billie und den anderen schon mitgeteilt – das mit Benthos II?«, fragte Leon.
    »Kovaleinen weiß es bereits. Die Taucher erfahren es heute.«
    Einen Moment lang eilten Leons Gedanken zu Tom, Julian und Billie. Wie würden sie es aufnehmen, dass die Station evakuiert wurde? Zum ersten Mal kam ihm die Idee, dass sie vielleicht sogar ganz froh darüber sein könnten, weil es dort unten immer unheimlicher wurde …
    »So, jetzt aber mal ein ganz anderes Thema«, sagte Tim und

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