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Ruf Der Tiefe

Ruf Der Tiefe

Titel: Ruf Der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Brandis , Hans-Peter Ziemek
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verschränkte die Arme. »Wie läuft’s beim Fernunterricht? Was hast du dir zum Beispiel für heute vorgenommen?«
    Unterricht. Schule. Das gab es ja auch noch. Mühsam wandte Leon seine Gedanken seinem Lernprogramm zu. »Äh, wahrscheinlich werde ich hauptsächlich Mathe, Chemie und Englisch machen, da bin ich noch ein bisschen schwach.«
    Tim grinste. »Da hilft dir dein gutes Gedächtnis nichts. Aber deinem IQ nach solltest du auch diese Fächer packen, also streng dich an. Viel Erfolg. Ach ja, ich fliege übrigens heute noch nach Honolulu, wir haben eine Krisensitzung mit dem Gouverneur, aber in zwei Tagen bin ich wieder zurück. Könntest du dich bis dahin bitte aus allem Ärger raushalten?«
    »Ich versuch’s«, meinte Leon schulterzuckend. Er begleitete Tim zum Hubschrauberlandeplatz, wo der bordeigene Helikopter gerade startklar gemacht wurde, dann suchte er sich in den Aufenthaltsräumen des Zwischendecks ein Terminal, um sich in seine Lernprogramme zu vertiefen. Doch er konnte nicht ins Internet, dafür hatte er hier keine Freigabe – und er wollte unbedingt so bald wie möglich seine Mails checken. Vielleicht hatte ihm Julian geschrieben …oder Carima. Er gestand sich ein, dass er wissen wollte, wie es ihr ging. Dass er ihr berichten wollte, was geschehen war – vielleicht würde sie verstehen, wie traurig er war, dass Benthos II stillgelegt wurde.
    Auf der Suche nach jemandem, der ihn kurz an seinem Computer ins Netz lassen würde, wanderte Leon auf dem Zwischendeck herum. Dieses Deck sah auf jeder Fahrt anders aus, da es fast ausschließlich aus Containern bestand. Man konnte diese Container für jede Expedition neu zusammenstellen, je nachdem, welche Räume und Funktionen man brauchte, und sie wie Bauklötze an Deck stapeln. Im Moment waren eine Menge Labore an Bord der Thetys und die meisten waren gerade in Benutzung: In einem war jemand dabei, mit der Pipette eine Flüssigkeit in ein Glasgefäß zu tropfen, in einem anderen beugte sich jemand über ein Mikroskop und ein paar Türen weiter untersuchten behandschuhte Geologen Lavabrocken, die wahrscheinlich einer der ferngesteuerten Unterwasser-Roboter hochgebracht hatte.
    Doch dann hatte Leon Glück: Eines der Biologie-Labors war gerade leer und der Benutzer schien noch eingeloggt zu sein. Leon glitt hinein und machte es sich vor dem Computer bequem. Es dauerte eine Weile, bis das Programm sich über Satellit ins Internet eingewählt hatte, und in dieser Zeit schweifte Leons Blick über den fremden Schreibtisch, ruhte einen Moment lang auf dem Foto einer lachenden dunkelhäutigen Frau, die ein Mädchen auf dem Arm trug, wanderte weiter … und blieb an einem Stapel ausgedruckter Mails hängen, weil er darin einen vertrauten Namen erspäht hatte. Neugierig reckte Leon den Hals.
    … müssen wir mit weiteren Entnahmen bei Octopus C-459/IIB »Lucy« vorsichtig sein, seine Werte sind in letzter Zeit schlechter geworden. Besser, wir warten diesmal eine Weile länger. Ich verstehe ja, dass ihr gerne noch mehr Material hättet, aber wir müssen Prioritäten setzen …
    Was für Entnahmen? Welche Werte waren schlechter geworden? Beunruhigt prüfte Leon die Mail genauer und stellte fest, dass sie von Greta Halvorsen stammte und an einen ARAC-Forscher namens Francis Montesquieu gerichtet war, offenbar der, dessen Schreibtisch Leon gerade gekapert hatte. War mit Entnahmen vielleicht die »Prozedur« gemeint? Sollte sie vorübergehend ausgesetzt werden, weil Lucy krank war? Oder war es womöglich die Prozedur selbst, die Lucy schadete?
    Kurz überlegte er, ob er Greta selbst fragen sollte oder McCraddy. Doch obwohl er Greta mochte, vertraute er ihr ebenso wenig wie dem Tierarzt von Benthos II. Beiden bedeutete Lucy nichts, und er war nicht sicher, ob sie bereit waren, ihm die Wahrheit zu sagen.
    Er musste Tim fragen – Tim war Meeresbiologe, er würde wissen, was die Mail bedeutete. Hastig stand Leon auf und sprintete die steile Treppe hoch zum vorderen Deck, wo sich der Hubschrauberlandeplatz befand. Doch er sah nur noch, wie der Heli über dem Schiff schwebend die Schnauze senkte und Fahrt aufnahm, in Richtung der grünen Inseln, die den Horizont ausfüllten.
    Enttäuscht lehnte sich Leon gegen die Reling und blickte ihm nach. Sorgen um Lucy nagten an ihn und das Schwanken des Schiffs setzte seinem Magen zu. Entspannen. Er musste sich entspannen, sonst wurde er noch richtig seekrank. Leon atmete tief durch, einen Moment lang schaffte er es, alle düsteren

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