Ruf Der Tiefe
den Saugnäpfen ein paar große runde Abdrücke auf der Haut verpasste.
Na, tausend Dank, wahrscheinlich dauert es Tage, bis die wieder weg sind!, beschwerte sich Leon, doch von Lucy kam nur ein Hauch von Schadenfreude zurück.
Nach dem Dinner – das es an Bord schon um halb sechs gab – hatten Koch und Kochsmaat frei, also ging Leon Minh besuchen. Der wischte sich gerade die Hände an einem Küchenhandtuch trocken und warf einen zufriedenen Blick auf die sauber geschrubbten Stahltische und -herde der Bordküche, dann gingen er und Leon raus aufs Arbeitsdeck und sahen zu, wie der Lander über eine Winde am Heck ins Meer befördert wurde.
»Langsam jetzt, mehr nach steuerbord«, sagte der Bootsmann, der für alle Abläufe an Deck verantwortlich war, in sein Funkgerät. »Gerät an der Oberfläche!«
Wellen umschäumten das Metallgestell des Landers, während er ins Wasser hinabgesenkt wurde. Ein paar Momente lang waren die gelben und orangen Kunststoffverkleidungen an den Seiten noch zu sehen, dann war der Lander an seinem Metallkabel auf dem Weg zum Meeresboden. Nachdenklich blickte ihm Leon nach und fühlte einen Moment lang nichts als Neid. Wie lange es wohl dauern würde, bis er und Lucy endlich wieder in die Tiefe durften?
Doch bis dahin gab es noch einiges zu klären.
»Sag mal, kennst du dich mit Computern aus?«, fragte er Minh leise, als gerade niemand in der Nähe war.
Minh schaute ihn beleidigt an. »Was ist das denn für eine Frage? Hey, welcher Musiker kann sich’s heutzutage leisten, sich mit Computern nicht auszukennen? An Land wird fleißig gesampelt, und wenn wir wieder in See stechen, mixe ich den Kram zusammen und lege meinen Gesang drüber.«
»Äh, toll«, sagte Leon skeptisch – so richtig überzeugt war er noch nicht von Minhs Computerkenntnissen. »Bei mir geht es eher darum, an Mails dranzukommen.«
»Soso … wie ich Mister Redway kenne, will er sich wahrscheinlich in irgendein Mailkonto reinhacken, dort einen fiesen Virus hinterlegen und das gesamte Schiffsnetz lahmlegen.« Minh lachte über seinen eigenen Witz – doch als er Leons Gesichtsausdruck sah, verstummte er abrupt. »Nee Mann, oder? Leon, mach keinen Scheiß! Sag mir, dass du so was nicht vorhast.«
»Den Teil mit dem Virus nicht«, sagte Leon.
»Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du komplett durchgeknallt bist?«
»Die meisten denken es nur, sagen es aber nicht. Was ist, hilfst du mir?«
»Na logisch«, sagte Minh und grinste schon wieder.
Abtrünnig
Ein paar Stunden später, während Francis Montesquieu irgendwo selig schlummerte, saßen sie in seinem Labor zusammen vor einem Terminal. »Hab hier ’n feines Programm installiert.« Minh klang zufrieden. »Jetzt können wir Passwörter ohne Ende ausprobieren und werden nicht nach drei Versuchen vom System rausgekickt.«
Leon nickte. Während Minh zu tippen begann, schaute er selbst sich nach Klebezetteln um, auf denen vielleicht der Code notiert war. Viele der Wissenschaftler konnten sich zwar die lateinischen Namen Hunderter Meerestiere merken, aber nicht ihr eigenes Passwort. Nur schien ausgerechnet Montesquieu eine Ausnahme zu sein, es gab zwar alle möglichen Klebezettel in Gelb, Grün und sogar Rosa, aber auf keinem stand irgendetwas, was auch nur entfernt einem Zugangscode ähnelte.
Leon warf einen unruhigen Blick auf die geschlossene Tür. Hoffentlich ertappte sie niemand bei dem, was sie gerade taten. Die ganze Aktion passte nicht zu seinem Versprechen, sich aus allem Ärger rauszuhalten.
Er drehte das Bild mit der lachenden Frau und dem Mädchen um und entfernte die Rückseite des Rahmens. Treffer, auf dem Foto stand etwas: Daisy und ich, New Orleans, Mai 2017. »Probier’s mal mit ›Daisy‹ oder ›Orleans‹«, empfahl er Minh.
Minhs kurze, schmale Finger huschten über die Tastatur. »Nix is’. Wahrscheinlich ist der Typ einer dieser Penner, die tatsächlich so ein Streberpasswort mit Sonderzeichen und Zahlen benutzen. Hätt mir noch ’ne Software ziehen sollen, mit der wir so was entschlüsseln können. Aber wenn sie uns dabei erwischen, wärn wir echt am Arsch …«
»Ja, ja, versuch’s einfach weiter.« Leon wurde immer unruhiger. Schon seit einer halben Stunde probierten sie erfolglos herum, und es konnte sein, dass das Labor bald wieder gebraucht wurde. Er überflog die Titel der Fachbücher, die auf dem Regal aufgereiht waren. Lauter Werke zur Molekulargenetik. Hatte die ganze Sache also etwas mit Lucys Erbgut zu tun? Auf gut
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