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Ruf Der Tiefe

Ruf Der Tiefe

Titel: Ruf Der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Brandis , Hans-Peter Ziemek
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lag. Außerdem war noch eine Fotografin da, die versuchte, den Biologen und Lucy gleichzeitig mit aufs Bild zu kriegen.
    Weg! Schick sie weg! Schlimmer sind sie als Seeigel , beschwerte sich Lucy.
    »Sehen Sie nicht, dass Lucy gerade gefressen hat und jetzt in Ruhe verdauen möchte?«, fragte Leon die Wissenschaftler mit seinem letzten Rest Höflichkeit und Selbstbeherrschung. »Bitte gehen Sie, sie fühlt sich durch Sie gestört.«
    »Woher wollen Sie das denn wissen?«, knurrte Alvarez, die Fotografin sagte, Leon solle bitte aus dem Bild gehen, und der Wissenschaftler erklärte ihm nach einem kurzen Seitenblick: »Der Fahrtleiter weiß Bescheid, es geht um die neuen Testreihen mit dem Tier, die müssen wir jetzt schon mal anleiern, sonst kommt das Labor nicht …«
    Es war zu viel gewesen. Einfach zu viel an diesem Tag. Wilde, heiße Wut stieg in Leon hoch. Lucy spürte es und zog hastig auch noch die Spitze ihres fünften Arms in ihre Höhle.
    »Raus! Jetzt!«, brüllte Leon und vier Gesichter wandten sich ihm verdutzt und schockiert zu. Dann machten sich die beiden Wissenschaftler und die Fotografin mit bitterbösen Blicken davon. Der Erste Offizier baute sich vor Leon auf, sagte irgendetwas, doch Leon blendete ihn aus, es waren gar keine Worte, die da auf ihn einprasselten, sondern Wellen, die gegen eine Hafenmauer brandeten und wieder zurückfluteten in den Ozean. Nur ein Rauschen in seinen Ohren. Schließlich gab auch Alvarez auf und zog sich zurück.
    Was war das?, fragte Lucy erschrocken.
    Ich war das – ich habe herumgeschrien. Leon setzte sich ganz langsam an den Rand des Beckens. Er zitterte am ganzen Körper und seine Beine fühlten sich wackelig an. Leon Redway, der ruhige, schüchterne Leon … war er das überhaupt noch? Hatte er eben tatsächlich den Ersten Offizier der Thetys angebrüllt? Tim beleidigt am ersten Tag, den sie seit drei Monaten gemeinsam verbrachten?
    Seine Partnerin kam aus ihrer Höhle und glitt auf ihn zu, lautlos und geschmeidig bewegte sich ihr riesiger Körper durch das Becken. Wortlos forderte Lucy ihn auf, ihr zu erzählen, was passiert war, und statt langer Erklärungen öffnete Leon einfach seinen Geist für sie, ließ sie teilhaben an seinen Erinnerungen. An diesem furchtbaren Moment, als Fabienne Rogers das Ende von Benthos II verkündet hatte. Daran, dass die Zukunft ihm gerade wie eine Mauer vorkam; dass Tim ihn nicht mehr verstand und ihn nicht mehr ernst nahm; dass dieses Mädchen namens Carima schon wieder aus seinem Leben verschwunden war.
    Zurück kam Mitgefühl, mit einer dunklen Unterströmung von Trauer. Doch im Gegensatz zu ihm verlor Lucy nicht die Kontrolle, ihre Gedanken waren wie das beruhigende Murmeln eines Bachs. Ich verstehe, sie schubsen dich herum, nehmen dir dein Revier … da hast du angegriffen …
    Wenn ich wenigstens volljährig – ausgewachsen – wäre , stöhnte Leon lautlos. Dann hätten sie mich vielleicht nicht daran hindern können, noch einmal zu tauchen, auf eigene Faust herauszufinden, was dort unten nicht stimmt.
    Selbst rausfinden? Der Gedanke gefiel Lucy, Leon spürte es. Das geht nicht? Wieso?
    Weil die oberste Chefin persönlich meinen Vorschlag abgelehnt hat. Wenn ich es trotzdem mache, dann bin ich bei der ARAC raus. Für immer.
    Lange saß Leon am Beckenrand und fragte sich, was gerade mit ihm geschah. Die letzte Woche war eine einzige Abfolge von Hiobsbotschaften gewesen, es war fast so schlimm wie damals, als sein Leben sich zum ersten Mal aufgelöst hatte, als alle Gewissheiten über Nacht dahin gewesen war und er sich nur noch darauf konzentriert hatte, jeden neuen Tag irgendwie zu überstehen.
    Selbst jetzt noch hielt er es manchmal kaum aus, an seine Eltern zu denken, schwer und dunkel fühlte sich die Trauer in ihm an. Zugleich war er beunruhigt darüber, dass es immer schwerer wurde, die Erinnerung an seine Eltern heraufzubeschwören. Übrig waren nur noch Stimmungen, Gefühle, Augenblicke, die sich ihm aus irgendeinem Grund besonders stark eingeprägt hatten.
    Aneinandergekuschelt auf einem schwankenden Boot, Mas ruhige Stimme, die ihm etwas vorliest, ihr warmer Körper neben seinem. Der Duft ihrer Haut ist stärker als der Geruch nach Neopren und Salzwasser.
    An einem anderen Tag, im Bad – ganz langsam und sorgfältig kämmt er ihr die schulterlangen kaffeebraunen Haare, endlich hat sie es ihm mal wieder erlaubt. »Au, das ziept!« Erschrocken hält er inne, doch schon lacht seine Ma wieder.
    Ein paar Jahre später,

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