Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruf der Toten

Ruf der Toten

Titel: Ruf der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
Vom Netzwerk:
musste einen Ort geben, der besser war. Nur wie sollten sie dorthin zurückkehren…?
    Erschüttert folgten sie ihrem Weg durch die traurigen Überreste einer Stadt, vorbei an den leeren Augen der Fenster und klaffenden Mündern, die einst Türen gewesen waren. Teile der Türstürze lagen wie ausgebrochene Zähne über dem Boden verstreut.
    Irgendwann hörten sie ein Säuseln. Ein beständiges Murmeln. Eine Stimme, leise brodelnd, betend. Ein Brummen, das an- und abschwoll und durch Mark und Bein ging. Obwohl sie niemanden sehen konnten, wussten sie, dass etwas neben ihnen war, sie beobachtete. Es war fast wie früher, bevor ihr Albtraum begonnen hatte, wenn sie es sich abends mit einem Sixpack und einer Tüte Kartoffelchips auf der Couch bequem gemacht und den Fernseher eingeschaltet hatten – und sie wussten, gleich ruft jemand an. Sie hatten nie begriffen, woher dieses Wissen kam, aber jedes Mal hatte kurze Zeit darauf tatsächlich das Telefon geklingelt.
    »Ist hier jemand?«, fragten sie flüsternd.
    Eine Stimme, die sie nicht kannten, gab Antwort. Geisterhaft kam sie herübergeweht, seltsam tonlos.
    Eine tiefere Dunkelheit ragte am Horizont in die Höhe und verdeckte die Sterne. Es war eine mächtige Gestalt, erkannten sie, die unfassbar weit in die Höhe ragte. So weit sie auch entfernt waren, fühlten sie sich doch, als ständen sie dicht an ihrem Fuße.
    »Was ist das?«, wollten sie wissen.
    Sie sahen zu der hohen dunklen Masse. Urplötzlich wurde ihnen bewusst, dass sich da draußen, außerhalb des Feuerscheins der Brandherde, etwas bewegte, ein Wesen, das in der Finsternis lebte wie Fische im Wasser. Etwas Mächtiges. So mächtig, dass es die Welt mit einem Schlag vernichten konnte. Vielleicht hatte es das sogar schon getan.
    Flammen wirbelten knisternd in die Höhe, spitz und heiß. Leckende Zungen, die das Schwarz der Nacht begierig verschlangen. Sie sahen, wo sie sich befanden, und erstarrten zu einer eisigen Säule aus Furcht. Ihre Mägen zogen sich zusammen.
    Ein Friedhof. Um sie herum wölbten sich die erdigen Hügel der Gräber in die Höhe. Bäuche dahingestreckter Menschen, die schliefen. Die blassen Grabsteine, Marmor, hoch und eindrucksvoll, Schiefer, klein und kümmerlich, zuckten wirr im unruhigen Takt des Feuers. Sie kamen näher, glänzend im flackernden Schein der Flammen, enthüllten Hecken, die einst kunstvoll geschnitten waren, doch jetzt wild wucherten, um gleich drauf wieder als Schatten in einen noch finsteren Hintergrund hinabzutauchen. Vor und zurück. Vor. Zurück. Manchmal lasen sie Namen auf den Grabsteinen. Sie sagten ihnen nichts. Einmal lasen sie: Eduardo Ritz.
    Abermals leuchteten Flammen auf, und für den Bruchteil einer Sekunde konnten sie einen Blick auf die Gestalt neben sich werfen. Im unruhigen Licht glaubten sie, durch sie hindurchschauen zu können. Sie ist nicht real, war ihr erster Gedanke. Ihr Körper schwankte und veränderte sich wie ein Geist, der sich vergeblich um eine Materialisation bemühte.
    »Hilf uns!«, baten sie, als das Feuer erlosch.
    Sie streckten die Hände aus, doch die Arme, nach denen sie griffen, zerfaserten. Wie bei einem Gespenst. Sie erschraken, und Furcht klammerte sich mit scharfen Krallen an ihnen fest.
    Die Nacht legte sich wieder über die Gestalt. »Wer bist du?«, riefen sie, doch da verschwand die Gestalt bereits vollends in der Dunkelheit, die wie ein Tuch über sie ausgebreitet wurde.
    Sie antwortete ihnen, doch sie war schon weit entfernt. So weit weg. Sie sagte…

Berlin
     
     
     
    »… Beatrice?«
    Philip erwachte. Schlafkruste verklebte seine Augenlider, nur mit Mühe konnte er erkennen, wie Schlangen auf ihn zuglitten und nach ihm schnappten. Er verspürte den Drang, sich die Decke über den Schädel zu ziehen, obschon er wusste, dass sie ihn nicht vor den giftigen Reptilien bewahren würde. Es waren auch nicht wirklich Nattern, die ihn beißen wollten, es war Chris, deren braunes Haar seine Wangen streifte.
    »Hä?«, machte er. Der Traum schlängelte sich wie ein Geist durch seine Hirnwindungen, irgendwie war er vorhanden, irgendwie aber auch nicht.
    »Ich fragte, wer Beatrice ist?«, wiederholte Chris, und ihr Tonfall war allerdings das Pendant zu einem Schlangenbiss – giftig. Aber konnte er ihr das wirklich verübeln – nach letzter Nacht? Doch darum ging es jetzt nicht. Er versuchte sich zu konzentrieren. Beatrice? Woher soll ich das wissen?, dachte er. Er fragte: »Wer soll das sein?«
    »Du hast ihren Namen

Weitere Kostenlose Bücher