Ruf der Vergangenheit
sie in Wirklichkeit war. Und ohne einen gewissen Freiraum war eine Flucht unmöglich.
Der Drang, nach Norden zu gehen, wurde immer stärker, sie musste mit aller Kraft dagegen ankämpfen, irrationale Risiken einzugehen, nur um dieses Ziel zu erreichen.
Katya bündelte ihre telepathischen Fähigkeiten und sandte Dev eine Mitteilung. So schwach, dass er nicht den genauen Wortlaut, sehr wohl aber die Absicht verstehen musste.
Wir müssen miteinander reden.
Dann zog sie sich wieder zurück, bevor Tag irgendetwas merkte.
Kurz darauf klopfte es an ihrer Tür. „Komm rein.“
„Was war das?“ Dev schloss die Tür hinter sich und lehnte sich mit dem Rücken dagegen, verschränkte die Arme vor der Brust. Statt des Anzugs, den er in New York getragen hatte, trug er wieder Jeans, was ihn in Katyas Augen noch attraktiver aussehen ließ, und ein weißes T-Shirt.
Es juckte ihr in den Fingern, ihn zu berühren, aber sie blieb, wo sie war. „Ich wollte nur deine Aufmerksamkeit.“
„Die hast du.“
„Der Zeitpunkt ist gekommen.“ Sie stellte sich vor das Bett. „Du solltest in meinen Kopf schauen.“
Er fluchte. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich das nicht tun werde.“
„Warum nicht?“ Sie ging auf ihn zu. „Weil du dich dann wie ein Monster fühlst?“
Er fuhr zusammen, als hätte sie auf ihn geschossen. „Ja.“
„Pech gehabt!“, sagte sie und wehrte sich gegen das Bedürfnis nachzugeben und ihm seinen Willen zu lassen. Dann würden sie nie weiterkommen. Und sie würde jedes Mal in seinen Augen das Misstrauen sehen, ganz egal, wie sehr er sie auch begehrte. Das tat weh. Sie hatte nicht gewusst, dass es einen solchen Schmerz gab. „Wenn ich es ertragen kann, spricht doch nichts dagegen.“
Er kam auf sie zu und blieb kurz vor ihr stehen. „Du vergisst eins, Katya. Du kannst mich nicht zwingen.“
Sie ballte die Fäuste so stark, dass ihr die Finger wehtaten. „Wenn ich meine Schilde senke, du aber nicht in meinen Kopf gehst und mir erlaubst, sie bis auf deinen Zugang wieder zu schließen, steht mein Verstand jedem offen, der über die notwendigen geistigen Fähigkeiten verfügt.“
„Glaubst du, das kümmert mich?“ Hart und wütend.
„Ja, sicher“, presste sie heraus. „Denn du hast die Verantwortung für mich übernommen. Vielleicht bist du irgendwann gezwungen, mich zu töten, aber bis dahin wirst du mich schützen.“
„Wie nett und wie manipulativ.“
Sie zwang sich, ruhig zu bleiben. „Eine Frau muss zu dem Mittel greifen, was ihr zur Verfügung steht.“
„Selbst wenn es den anderen zerbricht?“ Wie eine scharfe Klinge durchschnitt seine sanfte Frage jegliche Abwehr.
Mit blutendem Herzen schaute sie auf. „Wäre es wirklich so schlimm für dich?“
Ein raues Lachen. „Hattest du denn nicht Zugang zu den Akten, die ihr über mich angelegt habt?“
„Daran erinnere ich mich nicht.“ Sie wich seinem Blick nicht aus, mit einem Mal war sie überzeugt davon, dass sie dieses unbestimmbare „Etwas“ zwischen ihnen zerstören würde, falls sie auf ihrem Wunsch bestand. Es würde kein Zurück geben. Einer wahren Medialen, die alles nur in einer Kosten-Nutzen-Relation sah, hätte das nichts ausgemacht.
Aber ihr schon, es war kaum zu ertragen.
„In Ordnung“, sagte sie und senkte den Kopf, obwohl der pragmatische Teil von ihr protestierte. „Schon gut.“
Ihre plötzliche Zustimmung war ein weiterer Schlag für ihn. „Warum?“
„Manchmal ist der Preis zu hoch.“
Sie wollte sich abwenden, aber er zog sie an seine Brust und küsste sie so wild und besitzergreifend, dass sie kaum noch Luft bekam. Doch sie wehrte sich nicht, wollte ihn nicht kränken.
Das warf ihn vollends aus der Bahn – stets war er der Beschützer gewesen, hatte sich um andere gekümmert. Nie hätte er vermutet, dass ein feindliches Wesen versuchen würde, ihn zu schützen.
Ein kaum hörbares Flüstern in seinem Kopf.
Er biss ihr in die Unterlippe. „Still, Tag kann dich hören.“
Ihre Lippen öffneten sich überrascht. „Oh.“
Das nutzte er aus. Seine Zunge berührte ihre Zungenspitze, sie schmeckte betäubend gut. Das Flüstern wurde leiser, und das ärgerte ihn über alle Maßen. „Ich werde lernen müssen, deine Gedanken vor anderen Telepathen abzuschirmen“, sagte er und küsste ihr Kinn.
Katya vergrub die Hand in seinem Haar, als er an ihrem Hals knabberte und sich nur mühsam zurückhalten konnte, ihr mit einem Biss sein Zeichen aufzudrücken. „Du gehst wohl davon aus, dass du
Weitere Kostenlose Bücher