Ruf der Wildnis
seine Nase gegen den Himmel streckte.
Buck bewegte sich nicht, aber der Wolf spürte seine Gegenwart und hörte zu heulen auf. Halb kriechend, den Körper fast an den Boden gedrückt, den Schwanz steil aufgerichtet, kam Buck näher. Jede seiner Bewegungen war drohend und zugleich freundlich und werbend nach Art aller wilden Tiere bei ihrem ersten Zusammentreffen. Der Wolf sprang auf und floh. Buck folgte ihm mit wilden Sätzen und versuchte ihn zu überholen. Er drängte ihn in einen Hohlweg und sperrte ihm den Rückweg ab. Der Wolf wirbelte herum, knurrte und sträubte die Haare, fletschte die Zähne und benahm sich nicht anders als alle anderen Eskimohunde, die Buck kannte.
Buck griff aber nicht an, er umkreiste werbend den Wolf. Der Wolf blieb mißtrauisch, er hatte Angst, denn Buck war viel größer und stärker als er selbst, sein Schädel reichte dem Hund kaum bis zu den Schultern. Plötzlich schoß er pfeilgerade an Buck vorbei, und die Jagd begann von neuem. Immer wieder wurde der Wolf in die Enge getrieben, stellte sich und entkam wieder.
Aber Bucks Hartnäckigkeit wurde belohnt. Der Wolf verlor endlich seine Angst und beschnüffelte ihn. Damit war die Freundschaft geschlossen, sie verloren die Scheu voreinander und balgten sich spielend umher. Nach einer Weile lief der Wolf einen flachen Hang hinab und zeigte deutlich, daß Buck ihm folgen sollte. Er lief bestimmt und ohne Zögern, und so rannten sie Seite an Seite durch das düstere Zwielicht entlang dem Creek, durchquerten eine Schlucht und kamen bis zur Wasserscheide.
Das Land wurde eben, die Wälder waren weitgestreckt und durchzogen von Flüssen. Die Sonne stieg höher, und der Tag wurde wärmer. Stetig, gleichmäßig rannten sie Stunde um Stunde. Buck war glücklich. Er wußte, daß er an der Seite seines wilden Bruders aus den Wäldern dem Ruf folgte, den er so oft gehört und niemals gefunden hatte. Alte Erinnerungen tauchten in ihm auf, als hätte er dies alles schon einmal erlebt, irgendwo in jener anderen Welt, als wiederholte sich etwas, das vor langer Zeit geschehen war. Und so lief Buck, und er lief über eine Erde, die niemals eines Menschen Fuß betreten hatte, und über ihm war der weite, endlose Himmel.
An einem kalten, klaren Bach hielten sie an und tranken, und als er trank, dachte Buck an John Thornton. Er setzte sich nieder. Der Wolf begann weiterzulaufen, weiter zu auf jenen Ort, von woher der Ruf gewiß kam. Als er bemerkte, daß Buck ihm nicht folgte, kehrte er um, beschnüffelte ihn und stieß ihn mit der Nase sanft an. Aber Buck drehte um und lief langsam auf der alten Fährte zurück. Fast eine Stunde rannte sein wilder Bruder leise winselnd neben ihm her. Dann setzte er sich nieder, streckte seine Nase zum Abendhimmel empor und heulte. Es war ein klagendes, schwermütiges Geheul, und Buck hörte es noch lange. Es wurde langsam schwächer und schwächer, bis es sich ganz in der Ferne verlor.
John Thornton saß gerade beim Mittagessen, als Buck ins Lager stürmte, ihn voll rasender Liebe ansprang, umwarf, auf ihm herumkletterte, sein Gesicht beleckte, in seine Nase biß und den Hanswurst spielte, während Thornton den Hund hin und her schüttelte und ihm liebevolle Schimpfworte ins Ohr flüsterte.
Zwei Tage und Nächte verließ Buck das Lager nicht und behielt seinen Herrn ununterbrochen im Auge. Er folgte ihm zu seiner Arbeit, schaute ihm beim Essen zu, begleitete ihn bis ins Zelt und holte ihn morgens wieder heraus.
Aber nach zwei Tagen hörte er den Ruf aus den Wäldern befehlender denn je. Über Buck kam wieder die Unruhe, deren er nicht Herr werden konnte. Er mußte an den wilden Bruder denken, an das heitere Land jenseits der Wasserscheide, an die dunklen Wälder, durch die sie Seite an Seite gerannt waren. Und er verließ das Lager und durchstreifte die Wälder, aber er suchte vergebens. Der wilde Bruder kam nicht mehr, und so viele lange Nachtwachen auch Buck wartete, er hörte das sehnsüchtige, schwermütige Heulen nicht mehr.
Buck fing an, die Nächte im Wald zu schlafen, und es kam vor, daß er tagelang vom Lager fortblieb; einmal überquerte er die Wasserscheide am Oberlauf des Creek und lief in das Land der Wälder und Ströme. Er wanderte eine Woche lang und suchte vergebens nach frischen Fährten des wilden Bruders. Er zog mit jenem leichten Trott dahin, der nicht müde macht. An einem breiten Strom fischte er nach Lachsen und tötete einen großen, schwarzen Bären, der von Moskitos geblendet hilflos
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