Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
von der rothaarigen jungen Frau bei Margret Crest erzählt hatte. Dass es sich dabei wirklich um Joannas Tochter handelte, war einfach mehr, als er zu hoffen wagte. Joannas Tod war ein schwerer Verlust für die Ashera gewesen. Ihre Fähigkeiten, ihr Verstand, ihr Erbe. Damals hieß es, auch das Kind sei verbrannt worden. Dass das nicht stimmte, hatte Armand gewusst. Aber er hatte geschwiegen. Warum unnötige Opfer bringen bei einem aussichtslosen Rettungsversuch? Es wäre der sichere Tod für das Mädchen gewesen. Und für einige andere ebenso. Stattdessen hatte er sich lieber selbst eine Weile um das Kind gekümmert, bis er sicher war, dass ihr keine Gefahr mehr drohte. Aber dann war es für ihn zu gefährlich geworden, und die Kleine schien das Risiko nicht wert. Ein Irrtum, wie er vor knapp einem Jahr erkannt hatte, als er zu dem Haus der Hexe zurückgekommen war, um zu sehen, ob Joannas Tochter noch dort lebte. Ein Blick hatte genügt, und jeder Zweifel war beseitigt gewesen. Er hatte von Anfang an vorgehabt, sie zu Franklin zu bringen. Hatte ihm vor Wochen schon von seiner Entdeckung erzählt. Sie waren sich einig gewesen, dass Armand Melissa so bald wie möglich zur Ashera bringen sollte. Dass dies jedoch eine lebenswichtige Notwendigkeit werden würde, damit hatten sie beide nicht gerechnet.
„J’en suis sûr, Franklin! Ich bin mir sicher, dass es Joannas kleine Prinzessin ist. Wenn du sie siehst, wirst du wissen, warum ich nicht zweifle.“ Er blickte abermals auf ein Bild an der Wand in Franklins Büro. So wie bereits einige Wochen zuvor, als er Franklin das erste Mal von Melissa erzählt hatte. Es hing dort schon so lange, wie er denken konnte. Carl, Franklins Vorgänger, hatte es seiner Frau zuliebe aufgehängt. „Glaub mir, du wirst dir ebenso sicher sein wie ich.“
„Weißt du, wie weit sie schon initiiert ist?“
Armand drehte sich um und sah Franklin mit einem Achselzucken an. „Das ist schwer zu sagen. Aber sie hat das
Buch der Schatten
von ihr bekommen, gleich nachdem sie von der Uni zurückkam.“
„Und wo ist das Buch jetzt?“
„In Thedford, wo sonst? Sie hat es ihr nicht zum Schmökern überlassen, nachdem Melissa die Wahrheit herausgefunden hatte.“
Franklins Blick genügte, um Armand zu sagen, was er wollte. Dieses Buch durfte nicht in Margret Crests Händen bleiben. Er verdrehte die Augen und schnaubte. „Alors, bien, schon gut, ich werde es holen. Aber du bekommst es von ihr, nicht von mir. Ich werde es ihr geben und ihr sagen, dass du es als Pfand gefordert hast.“
Damit war Franklin einverstanden. Als Armand sich zum Gehen wandte, hielt er ihn noch einmal zurück. „Aber hol nur das Buch, Armand! Schwör es mir! Misch dich nicht ein! Wenn es wirklich Joannas Tochter ist, dann hatte Camille recht. Dann hat Joanna das Schicksalsrad mit ihrem Tod noch in Gang gesetzt.“
Eine Stunde später schlich Armand wie ein Schatten um das Hexenhaus. Innen war alles still. Entweder waren sie inzwischen auf der Suche nach der Entflohenen, oder man hatte noch nicht bemerkt, dass Melissa fort war.
Auf einen Wink seiner Hand hin öffnete die Tür sich geräuschlos. Wie unvorsichtig für eine schwarze Hexe, die Haustür nicht wenigstens mit einer magischen Formel zu schützen.
Das Buch der Schatten würde in der Hexenküche sein. Es wäre ein leichtes gewesen, es einfach zu nehmen und ungesehen zu verschwinden. Wenn da nicht die Wut gewesen wäre, die sich so viele Jahre lang aufgestaut hatte. Lilly. Seine Gefährtin, seine Vertraute, sein Halt in der Einsamkeit. Der Mord an ihr war überflüssig und grausam gewesen. Ebenso wie der an Joanna. Er hätte sie beide rächen sollen. Aber er hatte es nicht getan.
Die Tür zum Schlafzimmer war nur angelehnt. Margret Crest lag in ihrem Bett und schlief. Sie bemerkte nichts von seiner Gegenwart. Cette garce arrogante! Dieses arrogante Weibsbild! Sie hielt sich für unbesiegbar. Dachte nicht im Traum daran, dass jemand ihre Pläne durchkreuzen könnte. Nun, sie würde große Augen machen, wenn sie am nächsten Morgen in den Wald ging. Einen Sekundenbruchteil dachte er darüber nach, sie im Schlaf zu überraschen und zu töten. Doch das wäre zu leicht gewesen. Und außerdem hatte er Franklin geschworen, es nicht zu tun. Kaum zu glauben, dass er ihm nachgegeben hatte.
Ein bitteres Lächeln spielte um seine Züge, während er die Frau ihren dunklen Träumen von Macht und Rache überließ. Das Buch lag dort, wo er es vermutet hatte. Er schlug es in
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