Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
nervenzermürbende Warterei endlich ein Ende hätte.
Einen Tag vor Neumond erwachte ich mitten in der Nacht aus einem unruhigen Schlummer. Zunächst konnte ich die Geräusche nicht einordnen. Ein unterdrückter Schrei, ein seltsames Gurgeln, ein dumpfer Aufschlag. Ich richtete mich mühsam auf, meine Glieder waren steif von der unbequemen Holzbank. In diesem Moment schwang die Tür auf, und ich sah den Schatten, der davor lauerte. Dunkel, groß und bedrohlich.
Armand.
Ich wusste es, noch bevor meine Augen ihn erkannt hatten. Seine Präsenz war unverwechselbar. Sie flutete in den Raum wie eine mächtige Woge. Eine Aura von Macht und Unsterblichkeit. Meine beiden Bewacherrinnen lagen mit aufgerissenen Kehlen tot zu seinen Füßen. Ihr Blut tropfte von seinem Kinn. Es hatte eine groteske Schönheit an sich. Das Blut auf seinen Lippen, der schwarze Umhang, der sich wie die Flügel einer Krähe um ihn bauschte, das bleiche überirdische Gesicht mit den fluoreszierenden Augen aus Rauch.
Tödlicher Engel.
Er war gekommen, um mich zu töten, wie ich es in den Karten gesehen hatte. Aber der Tod, den er brachte, war mir willkommen. Er würde wenigstens schnell sein. Allemal besser, als auf Margret Crests Scheiterhaufen zu brennen.
Doch als er näher kam, sein Gesicht erhellt durch das schwache Licht der Öl-Lampe auf dem Tisch, sah ich nur tiefe, aufrichtige Sorge in seinen Zügen. Das Blut verlor seinen düsteren Zauber. Er hatte es vergossen, um mich zu retten. Nicht mein Tod – meine Erlösung.
Ich warf mich schluchzend in seine Arme. Er fing mich auf, hielt mich fest. Eine Ewigkeit, so schien es.
„Scht, mon cœur. Calmez-vous. Beruhigen Sie sich. Alles wird gut. Ich werde Sie beschützen. Aber wir müssen hier weg, ehe sie etwas bemerken.“
Die Rache sei mein
Als die Nacht sich über London senkte, saß ich mit rotgeweinten Augen im Restaurant des Grovener Hotels, Armand an meiner Seite. Er hatte mich in seinen Umhang gehüllt und fort gebracht von dem Häuschen, fort von dem magischen Wald. Wie, das hatte ich kaum mitbekommen. Nur, dass es schnell geschehen war. Und lautlos. Mein Geist war jenseits von hier. Irgendwo ganz weit weg. Zwanzig Jahre heile Welt waren mit einem Wimpernschlag über mir zusammengebrochen. In meiner Kehle brannte es wie Feuer, aber ich hatte schon seit einer Weile keine Tränen mehr. Armand hielt meine Hand in der seinen. Er hatte sie nicht mehr losgelassen, seit er mich in der Hütte gefunden hatte. Verzweifelt und hoffnungslos. Von quälender Angst erfüllt.
Grandma hatte meine Mutter verbrannt, wie eine Hexe auf dem Scheiterhaufen. Und der nächste war für mich bestimmt gewesen. Ich sah noch immer Scheit um Scheit auf der Lichtung vor der Hütte liegen. Auf mich wartend, nach mir gierend.
Ein unkontrolliertes Zittern lief durch meinen Körper. Meine Hände krampften sich so fest zusammen, dass die Knöchel weiß hervortraten. Es gab eine Hölle, so viel war sicher. Denn ich befand mich mitten in ihr.
Eine warme Hand wischte einen neuen Schwall Tränen von meinen Wangen. Diese tröstliche Geste, die Zärtlichkeit darin, brachte meinen letzten Rest an Selbstbeherrschung zum Einsturz. Ein Laut abgrundtiefer Qual entrang sich meiner Kehle. Die übrigen Gäste des Restaurants schauten verwundert zu uns herüber. Ich sank gegen Armand und ließ meinem Kummer freien Lauf.
Er küsste mich auf die Stirn und wiegte mich sanft in seinen Armen. „Scht, ma petite! Scht! Es wird alles gut.“
Nein, dachte ich. Es wird nie wieder gut. Wie könnte es auch? Margrets Worte und meine Träume verschmolzen zu einem Bild des Schreckens. Erweckten die tief vergrabenen Erinnerungen zu immer neuem Leben. Glühende Eisen auf meiner Seele.
Ich
war das Kind, das schrie. Es war
meine
Mutter, die in den Flammen starb. Und ich hatte all das vergessen. Ich hatte es vergessen und ihrer Mörderin mein Vertrauen geschenkt.
„Es ist gut, dass Sie es jetzt wissen“, sagte Armand schließlich.
„Sie wussten es die ganze Zeit, nicht wahr? Schon wegen Lilly?“
Er nickte. „Aber ich befürchtete, Sie würden mir nicht glauben. Je suis désolé. Es tut mir so Leid. Können Sie mir mein Schweigen verzeihen?“
Ihm verzeihen. Weil er nicht gewusst hatte, wie er mir so etwas sagen sollte. Ich hätte es auch nicht gewusst. Und ich hätte ihm vermutlich kein Wort geglaubt, wenn er mit so einer Behauptung daherkommen wäre. Da machte ich mir nichts vor.
„Ich habe solche Angst, Armand. Alles, was ich
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