Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
Doch in seiner Panik stürmte Cyron blind drauflos, warf Passanten um und sorgte fast für ein Verkehrschaos, als er über die vielbefahrene Hauptstraße rannte. Ich hatte nicht die Absicht, mein Ziel so schnell wieder zu verlieren, warf alle Vorsicht über Bord und eilte hinter dem Flüchtenden her. Bemüht, den Verkehr nicht so arg zu beeinträchtigen wie er, musste ich aufpassen, ihn im Auge zu behalten. Zu meinem Glück hinterließ er eine deutliche Spur. Schimpfende Passanten, quer stehende Autos, umgefallene Müllcontainer, das ganze Repertoire. Gut, dass mich in meiner Tarnung später niemand wiederkennen würde und der Polizei meine Beschreibung als Täterin für den Anschlag präsentierte.
In einer Nebenstraße wagte ich dennoch den Sprung auf die Dächer. So war ich aus dem Blickfeld der Leute verschwunden und Cyron bemerkte mich nicht. Irgendwann musste er ja mal anhalten. Oder noch besser: Nach Hause gehen.
Schwer atmend blieb er schließlich stehen, spähte um eine Häuserecke und vergewisserte sich, dass die Straße leer dalag. Nur ein paar vorübereilende Passanten, die ihm keine Aufmerksamkeit schenkten. Wir waren inzwischen weit genug vom Tatort entfernt, hier hatte man nichts davon mitbekommen. Erleichterung malte sich auf sein Gesicht, und dann wurde ich Zeuge, wie er seine Gestalt wandelte. Er krümmte sich, verzerrte das Gesicht in Agonie, stöhnte, keuchte. Es war kein schöner Anblick, sah ebenso qualvoll aus, wie es sich offenbar anfühlte. Er hatte dem Typen im Leonardo’s keinen Bären aufgebunden.
Dennoch war ich vom Ergebnis überrascht. Aus dem abgerissenen Loser-Typ wurde eine Bordsteinschwalbe. Mir fiel die Kinnlade bis zum Boden. Erst recht, als sich die hübsche Brünette mit den üppigen Brüsten freimachte, ein Stretchkleid aus den Tiefen des Mantels hervorholte und hineinschlüpfte. In den beiden Seitentaschen fanden sich zwei zierliche Pumps, die das Bild perfekt abrundeten.
Jagdkleidung? Mir schoss die Frage augenblicklich durch den Kopf, gefolgt von der Erkenntnis, dass ich mir bislang noch nie Gedanken gemacht hatte, wovon sich Cyron ernährte. Manche Gestaltwandler fingen streunende Tiere oder Ratten, andere tranken lediglich die Energie der Opfer. Nur wenige verspeisten buchstäblich Menschen. Diesem Vamp da unten traute ich das durchaus zu, wobei es schon eine makabre Note hatte, ihn als Vamp zu bezeichnen, wo ich selbst mit meinen Fangzähnen auf die Jagd zu gehen pflegte.
Sollte ich weiter nur hinterherspionieren oder … Die Versuchung war zu groß und die Gelegenheit günstig. Lautlos ließ ich mich zu Boden sinken, wollte mich vor diesem Wesen aufbauen und es zur Rede stellen, da erfasste mich etwas – oder jemand – an der Brust und schleuderte mich an eine Hauswand. Es war nicht sonderlich fest, nicht mal meine Knochen knirschten. Lediglich die Überraschung raubte mir den Atem und ich fragte mich, ob der Maskierte Cyron gefolgt war. Es verursachte jedenfalls genug Lärm, um Cyron zu alarmieren, der sich aus dem Staub machte. Verdammt flink angesichts der High Heels. Er war um die Ecke, ehe ich meine Glieder wieder sortiert hatte. Die Spur war für heute verloren.
Ärgerlich blickte ich mich nach der Ursache um, denn einen Windstoß konnte ich ausschließen. Wenn sich dieser Attentäter getraut hatte, uns zu folgen, sollte er mich jetzt kennenlernen. In Kampfhaltung stellte ich mich meinem Angreifer entgegen, doch es war nicht der Maskenträger. Zu meiner Überraschung stand ein paar Meter neben mir Cyrons Kontaktmann.
„Wer bist du?“, herrschte ich ihn an. Ich kochte vor Wut, dass mir Cyron seinetwegen entkommen war, und hatte nicht übel Lust, diesem Kerl den Garaus zu machen und meinen Frust an ihm auszulassen. Wer mit Cyron unter einer Decke steckte, konnte nichts taugen.
„Jemand, der dich vor einem bösen Fehler bewahrt“, erklärte er und grinste.
„Was weißt du schon? Hast du etwas mit diesem Kerl zu tun, der das Leonardo’s in Einzelteile zerlegt hat?“
Er zog verwundert die Brauen hoch, kam dann aber lässig ein paar Schritte auf mich zu, streckte die Hand nach mir aus und ich blieb stocksteif stehen. Jeden Muskel angespannt, um notfalls sofort zu reagieren, wenn es bedrohlich wurde. Er streichelte mir über die Wange und lächelte.
„Von einem Angriff auf die Bar weiß ich nichts. Aber du solltest die Finger von dem Gestaltwandler lassen. Er ist meinen Auftraggebern sehr nützlich und ich lasse mir meine monatelange Arbeit nicht von
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