Ruf des Blutes 6 - Wolfspakt (German Edition)
Zuspruch erwartete ich – so wie früher, als ich noch sterblich war. Unsere Verbindung war vor langer Zeit gestorben.
Osira rollte sich an meiner Seite zusammen und legte ihren Kopf in meinen Schoß. Ich kraulte ihr das Fell, und so gaben wir uns still unserer Trauer hin. Worte waren unnötig, die Leere in unseren Herzen verband.
Einmal sah ich einen Schatten vor der Tür. Ich spürte Jennys Seele, aber meine kleine Schwester von einst wagte sich nicht herein. Besser so. Leere Worte des Beileids waren das Letzte, was ich brauchte.
Ich spielte mit dem Gedanken, hier sitzen zu bleiben und mich von allem abzuwenden. Eloin, die Ashera, die ganze Welt ihrem Schicksal zu überlassen. Vielleicht hätte ich das getan, wenn nicht Blue gekommen wäre.
Den Dolmenwächter schreckten weder mein Zustand noch meine mögliche Reaktion. Eine Weile blieb er bei mir sitzen, kraulte Osira, die leise winselte, und schwieg.
„Was willst du?“, fragte ich schließlich, weil ich es albern fand, sich anzuschweigen.
„Ich dachte, vielleicht interessiert es dich, dass die Sternenwölfe wieder dort sind, wo sie hingehören.“
„Ich dachte, Schattenjäger hätte sie getötet.“
Das waren die Totenwölfe von Hel gewesen, erinnerte mich Blue. Hati und Skalli hatten sich auch mithilfe ihres Vaters Fenris nicht bändigen lassen und waren ihrer Bestimmung gefolgt. Ob sie wirklich Sonne und Mond verschlungen hätten, blieb ein ungelöstes Rätsel, doch auf jeden Fall waren sie mit den Stürmen gerannt. Nun hatten die ältesten Dolmenwächter sie eingefangen und mit Ketten, geflochten aus den Wurzeln der Rankenhöhle, festgebunden.
„Loki ist gar kein übler Kerl“, meinte Blue.
„Tja, da seid ihr beiden euch wohl ähnlich. Man hält euch für böse Buben, aber wenn man euch braucht, seid ihr da.“
Er überging diese Bemerkung, nahm sie mir offenbar nicht übel. Seine Gegenwart verstärkte das Gefühl der Einsamkeit. Ohne Armand fühlte ich mich nicht vollständig. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und lehnte mich auf der Suche nach ein bisschen Halt an ihn.
„Ich kann nicht mehr stark sein, Blue“, schluchzte ich an seiner Brust. „Ich will nicht mehr stark sein. Ich habe das Liebste verloren, was es in meinem Leben je gegeben hat und ich möchte weinen und darum trauern und diese gottverdammte Welt hinter mir lassen, die mir alles nimmt und nichts gibt.“
Er hielt mich fest und streichelte mir über den Rücken. Im Gegensatz zu allen anderen ließ er mir meinen Kummer und machte mir weder Vorwürfe noch versuchte er, mir Mut zuzusprechen, wo es keine Hoffnung gab.
„Wofür kämpfe ich überhaupt? Wozu? Wir werden ja doch alle sterben. So wie er gestorben ist.“
Ich war dankbar für die Wärme, die er spendete. Dafür, dass er zuhörte und nur da war, statt mir mit guten Ratschlägen zu kommen. In diesem Moment war er der Freund, den ich brauchte. Der einzige, den ich zu haben schien, ungeachtet all dessen, was zuvor zwischen uns geschehen war. Trotz seiner Bereitschaft, nur für mich da zu sein, spürte ich, dass ihn etwas bewegte. Dass er mit sich rang, weil er etwas auf dem Herzen hatte, aber nicht sicher war, ob der Zeitpunkt angemessen war. Da ich ihm dankbar war für seine Nähe und seine Gefühle respektieren wollte, bat ich ihn, loszuwerden, was ihn bedrückte. Schließlich konnte er nichts für Armands Tod. Er wich meinem Blick aus, was nicht zu ihm passte, und zögerte, bevor er sprach.
„Ich will dir keine falschen Hoffnungen machen, Mel. Aber was ich dir bisher über die Dolmentore gesagt habe, ist nicht alles. Es gibt nicht nur Tore von einem Ort zum anderen. Es gibt auch … Zeittore.“
Schlagartig erwachte ich zum Leben. Meine Finger umfassten seine Schulter so fest, dass er zusammenzuckte und Furcht in seine Augen trat. Osira, die nach seinem Kraulen in einen leichten Schlummer gefallen war, erwachte und gab ein unsicheres Knurren von sich.
„Was meinst du damit?“, fragte ich und war erschrocken, wie rau meine Stimme klang.
„Du hast mich schon richtig verstanden. Ich kann dir ein Tor durch die Zeit öffnen. Zurück zur letzten Nacht. Damit lässt sich das Schicksal ändern. Die Möglichkeit besteht zumindest. Wie genau sich das Geschehen verändern wird, kann ich allerdings nicht sagen. Das hängt von vielen Dingen ab.“
In meinem Kopf drehte sich alles. Das klang fast zu schön, um wahr zu sein. Vielleicht war ich auch im Schrein Asheras eingeschlafen und träumte nur.
„Ich will
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