Ruf des Blutes 6 - Wolfspakt (German Edition)
ehrlich sein, ich habe das nie zuvor gemacht. Es ist verboten, in die Zeit einzugreifen. Aber hey, die Theorie beherrsche ich, und du kennst mich. Regeln sind mir egal. Für dich würde ich es tun.“ Er ergriff meine Hand. „Für dich würde ich alles tun, das weißt du.“
Es versetzte mir einen Stich, dass er mir gerade jetzt seine Gefühle derart verdeutlichte. Ich fühlte leise Skrupel erwachen, diese auszunutzen, ohne ihm etwas dafür zurückzugeben. Zumindest nicht das, was er begehrte. Doch meine Liebe zu Armand war stärker als meine Bedenken.
„Wie soll das gehen?“, fragte ich und hatte meinen Entschluss längst gefasst.
Er zuckte die Achseln. „Ich öffne ein Tor – hier und jetzt – und wir gehen hindurch. Nur du und ich. Wir werden die Einzigen sein, die es wissen. Weil wir die Zeitlinie kreuzen. Für alle anderen ist es, als sei der Moment noch gar nicht verstrichen. Dieser Moment …“
Er sprach es nicht aus, wofür ich ihm dankbar war. „Du meinst, es gibt eine Möglichkeit, zu verhindern, dass es überhaupt geschieht?“
„Es ist wie mit allem im Leben. Eine Garantie gibt es nie, und das Risiko besteht, dass du dabei stirbst.“ Er grinste schief. „Ich schätze nämlich, dass du versuchen wirst, seinen Mörder auszuschalten. Das ist nicht ungefährlich. Aber wenn es dir gelingt, kann er im Kampf nicht mehr auftauchen. Mehr Einfluss kannst du nicht nehmen. Es liegt an dir, ob du es versuchen willst.“
War er sich darüber im Klaren, was er mir da anbot? Ich müsste verrückt sein, diese Chance nicht zu ergreifen. Wenn ich Armands Mörder tötete, konnte er meinen Gefährten nicht mehr angreifen. Das war ganz simpel. Da gab es nichts zu überlegen.
„Erzeug das Tor“, flüsterte ich.
„Es ist ein Risiko. Man kann nie wissen, wie sich die Zeitlinie verändert.“
Glaubte er allen Ernstes, er könnte einen Rückzieher machen, nachdem er mir solch eine Option angeboten hatte? Ich kniff die Augen zusammen und sah ihn fordernd an, obwohl mir klar war, dass sich jemand wie er nicht einschüchtern ließe.
„Das ist mir egal. Mich interessiert nur, dass Armand nicht sterben muss.“
Blue nickte. „Aber ich komme mit. Weil ich es mir nie verzeihen würde, wenn du an seiner Stelle stirbst.“
Es lag mir fern, ihm zu widersprechen. Alles, was er wollte, wenn er nur das Tor erzeugte.
Wir schlossen die Tür zum Allerheiligsten, damit uns niemand beobachten konnte.
„Zeittore funktionieren nur in eine Richtung, Mel. Anders als gewöhnliche Dolmentore verschließen sie sich sofort wieder. Das heißt, wir können beide nicht mehr zurück. Sobald du den Lycaner ausgeschaltet hast, verschwinde ich nach China, um Dusty zurückzubringen. Das Zeitfenster ist verdammt eng, weil ich warten muss, bis Dusty und Biff das System ausgeschaltet haben. Unser beider Existenz wird also bei unserer Ankunft in der Vergangenheit einen heftigen Sprung machen. Sei dir darüber im Klaren.“
Ich nickte, ohne wirklich verstanden zu haben, was er mir erklärte. In meinem Kopf gab es nur einen Gedanken: Ich konnte Armand retten. Alles andere zählte nicht.
Meine Haut fühlte sich an wie mit tausend Nadeln gespickt. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals mehr Adrenalin im Blut gehabt zu haben als in diesem Moment. Das Rauschen in meinen Ohren schaltete beinah jedes andere Geräusch aus, weshalb ich froh war, Blue an meiner Seite zu haben. Sonst wäre ich sicher, zwar nicht blind, aber dafür taub in eine Falle getappt.
Wir waren bei dem Dolmentor herausgekommen, das ich nachts zuvor – nein, in dieser Nacht – entdeckt hatte. Seine pulsierende Energie machte mich benommen. Erst als wir mehrere Schritte entfernt waren, konnte ich wieder klar denken.
Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass das Zeitfenster enger war, als ich gedacht hätte. Aliya führte die anderen bereits hierher. Ich hoffte, es fiel nicht zu sehr auf, dass ich nicht dabei war.
In China war vor knapp zwanzig Minuten der Server ausgeschaltet worden. Domeniko würde die Nachricht erst in einer Viertelstunde erhalten. Genau zu dem Zeitpunkt kamen wir hier an. Mir blieben also etwas mehr als zehn Minuten, um diesen Marcia zu finden und zu töten. Und ich durfte mich dabei nicht von Gefs erwischen lassen, die ja noch nicht von Rugo und seinen Bajangs getötet worden waren.
„Weißt du, woher der Lycanthrop kam?“
Als ob ich das vergessen könnte. „Aus dem Gebüsch dort drüben.“
Ich wies zum Waldrand. Natürlich lauerte noch
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