Ruf des Blutes 6 - Wolfspakt (German Edition)
Zeit gefror zu Eis, ich sah den Wolf – einen verwandelten Lycanthrop – in Slow Motion aus einem Gebüsch springen. Seine Muskeln streckten und spannten sich in abgehacktem Wechsel, als würde jedes Mal eine Bildsequenz übersprungen. Gleichzeitig grub Armand seine Füße in den Boden, Schnee stob auf, sein Kopf drehte sich zum Geräusch der brechenden Zweige. Das schwarze Haar wirbelte wie ein Schleier im Wind, er hob den Arm, drehte die Hüfte, um in die entgegengesetzte Richtung zu laufen. Die Zunge des Wolfes hing weit aus seinem Maul, während seine Zähne unter den hochgezogenen Lefzen blank dalagen. Seine Hinterbeine beugten sich tief, bevor er sich abstieß und mit vorgestrecktem Maul auf Armand zuflog, der sich instinktiv fallen ließ.
„Nein!“ Mein Schrei gellte über das Schlachtfeld. Ich hatte das Gefühl, dass meine Beine in schlammigem Grund versanken und ich sie kaum bewegen konnte. Es dauerte zu lang, viel zu lang, bis ich bei Armand war, um seinen fallenden Körper aufzufangen, ohne wirklich erfasst zu haben, ob ihn die Attacke erwischt hatte. Erst als meine Hände feucht wurden und seine Augen weit aufgerissen die meinen suchten, sah ich, wie tief sich die Krallen der Vorderpfoten in seine Brust gegraben und wo die Zähne des Wolfes ihm Gesicht und Kehle aufgerissen hatten.
Hechelnd kam der Wolf fünf Meter entfernt auf dem Boden auf. Er drehte uns den Kopf zu, ein Abschiedsgruß. Gleich darauf riss Eloin ihn von den Füßen und zerfetzte seine Kehle. Aber für meinen Geliebten war es einen Herzschlag zu spät.
„Armand!“ Ich strich ihm das Haar aus dem Gesicht, küsste seine blutverschmierte Wange.
„Mel.“ Mein Name spülte eine Flut von Blut über seine Lippen. Er hustete, würgte und zitterte in meinen Armen.
In seinen Augen stand, was er mir sagen wollte, doch es fehlte der Atem, um es auszusprechen. Ich verstand es dennoch. „Ich liebe dich.“
„Armand“, keuchte ich abermals und spürte, wie mir Tränen übers Gesicht liefen, bis meines ebenso feucht und rot war wie das seine. Sie tropften in den Schnee unter uns, schmolzen die Eiskristalle mit ihrer Wärme. Unnötig, zu lauschen, denn sein Herz schlug nicht mehr. Es würde nie mehr schlagen.
„Bitte lass mich nicht allein.“
Ich zog ihn an meine Brust, vergrub das Gesicht in seinem Haar und weinte bitterlich. Nur vage bekam ich mit, dass sich Domenikos Lycaner zurückzogen, weil ein zweites Rudel Lupins sich auf unsere Seite schlug und sie ohne die Befehlsgewalt Domenikos nicht wussten, wie sie darauf reagieren sollten. Für mich spielte das alles keine Rolle mehr. Auch wenn wir die Schlacht gewonnen hatten, ich hatte sie verloren.
Hoffnung ist ein bitter’ Trost
D ie Hochstimmung, mit der Blue in der folgenden Nacht zurückkehrte, passte so gar nicht zu meinen Gefühlen. Ich wollte mich gern für ihn und Dusty freuen, aber mein Herz glich einem Trümmerfeld. Mir fehlte die Kraft, der Freude beizuwohnen, als sich Sally und Dusty in die Arme schlossen und er ihr seinen Freund Biff vorstellte.
Als ich ging, spürte ich Luciens Blick auf mir ruhen, wissend, dass sein Trost meinem Vater galt, nicht mir. Und ich wollte auch nicht getröstet werden. Ich wollte nur allein sein.
Eloin hielt mich an der Tür zum Garten auf und legte seine Hand auf meine Brust. „Zu sagen, ich wüsste, wie du dich fühlst, wäre gelogen. Aber ahnen kann ich, was es für mich bedeuten würde, wenn ich Lysandra verlöre.“ Ich ließ es zu, dass er mich in die Arme nahm, konnte die Wärme seine Freundschaft jedoch nicht fühlen. „Vielleicht ist es dir ein Trost: In dir lebt er weiter. Für immer.“
Ich nickte stumm, meine Kehle war wie zugeschnürt.
Die Kälte und Stille des Gartens tat mir gut. Es war einfacher, sich allein seiner Trauer zu ergeben, wenn man wusste, dass alle von einem erwarteten, stark zu sein. Das Lachen der Wiedersehensfreude und Parolen der Hoffnung, weil wir innerhalb eines Tages zwei Siege über Domeniko errungen hatten, drangen zu mir heraus. Für mich besaßen sie einen bitteren Beigeschmack. Osira trottete stumm neben mir her, auch sie weinte um einen verlorenen Freund. Mit Armand war auch Welodan gestorben. Niemand konnte mich so gut verstehen wie sie.
Nach so vielen Jahren führte mich mein Weg zum ersten Mal wieder zum Schrein Asheras. Die Göttin thronte dort in all ihrer Pracht wie eh und je. Ich sank zu ihren Füßen nieder, ohne Hoffnung, dass sie irgendetwas ändern könnte. Nicht einmal ihren
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