Ruf Des Dschungels
gewundert, die sich so weit jenseits der üblichen Brutalität abspielte, die das Leben jener beiden verfeindeten Stämme einst beherrscht hatte. Es sah ganz danach aus, als gäbe es auch inmitten eines wütenden Krieges, selbst in dieser gottverlassenen und längst vergessenen Gegend, so etwas wie romantische Liebesgeschichten. Ich fragte mich, wie die beiden wohl zueinander gefunden hatten und wie es weiterging, nachdem die Frau ihr Dorf verlassen hatte. Hatte der Stamm, in den sie eingeheiratet hat, sie mit offenen Armen empfangen oder als Feindin betrachtet? Später bedauerte ich es, dass ich nicht die Gelegenheit genutzt hatte, sie danach zu fragen. Doch ich war mit zu vielen anderen Dingen beschäftigt.
Wir folgten weiter dem schmalen, sich windenden Pfad, der uns immer tiefer ins Unterholz führte. Zehn Minuten später stießen wir auf eine Lichtung, in deren Mitte ein offenes Feuer brannte. Mehrere Kinder sprangen um uns herum, ein Junge war auf einen Brotfruchtbaum geklettert und schlug die grünen Früchte ab. Die Mädchen sammelten die Kwas anschließend auf und garten sie im Feuer.
In der kurzen Zeit, die ich nun hier war, fiel mir gleich wieder auf, dass die Fayu im Grunde ständig aßen. Ihr Speiseplan war nicht sonderlich reichhaltig, es standen hauptsächlich Kwa, Kochbananen und Sago darauf. Unsere »festen Mahlzeiten« kennen die Fayu nicht, höchstens zu besonderen Anlässen, wenn beispielsweise ein Schwein geschlachtet wird. Dann versammelt sich das ganze Dorf, und alle Familien teilen sich das Fleisch.
Wir verließen die Lichtung und schlugen einen Weg ein, der uns direkt in den Dschungel führte. Nach wenigen Minuten hörte ich ein Klopfen. Als wir um die Ecke bogen, sah ich Nakire vor mir, der auf dem Stamm einer umgestürzten Sumpfpalme saß. Mit einer Steinaxt zerteilte er den Stamm in kleine Stücke. Als er uns bemerkte, grinste er übers ganze Gesicht und rief uns laut zu sich herüber. Ich sah zu, wie Fusai mit einer großen Schüssel, die Papa ihr irgendwann einmal gegeben haben musste, zu ihm hinüberging. Sie fing die weißen Schnitzel damit auf, bis die Schüssel randvoll war.
Derweil unterhielt sich Papa ein wenig mit Nakire und nahm ihn auf den Arm, weil er gerade Frauenarbeit verrichtete. Tatsächlich ist es bei den Fayu sehr unüblich, dass ein Mann seiner Frau bei der Arbeit zur Hand geht. Doch Nakire war schon immer etwas Besonderes und hatte sich von den anderen abgehoben. Das begann damit, dass er der Liebe Vorzug vor seinem Rang gab, als er seine erste Frau heiratete. Und nach ihrem Tod war er der erste Fayu, dem wir begegneten, der um die Liebe einer Frau kämpfte, nämlich um Fusai.
Wir mussten alle herzhaft lachen, als Papa ebenfalls probieren wollte, die Stücke mit der Axt abzuschlagen. Wir sangen ein typisches Fayu-Lied, das ihn anfeuern sollte, doch die anstrengende Arbeit ermüdete ihn schnell. Als er mich fragte, ob ich es auch einmal versuchen wolle, lehnte ich dankend ab.
Bald machten wir uns wieder auf den Weg zur Lichtung. Ein Stapel Kwa garte im Feuer, während Sophia-Bosa und ein anderes Mädchen in ihrem Alter davorsaßen und die Flammen beobachteten. Fusai rief die beiden zu sich und reichte ihnen die Schüssel mit den Schnitzeln. Gemeinsam trugen die Kinder sie zum Fluss, der nur wenige Schritte entfernt war.
Direkt daneben bemerkte ich ein Gerät aus Holz und Baumrinde, das zur Herstellung von Sago dient. Die Schnitzel wurden in einen langen Trichter aus Baumrinde gefüllt, der schräg auf einem Gestell aus mehreren Ästen lag. Nun gossen wir Wasser in den Trichter, an dessen Ende ein Stück Stoff als Filter diente. Als sie noch keine Kleidung hatten, verwendeten die Fayu einen Filter aus Baumrinde.
Fusai begann, das Ganze mit den Händen umzurühren, damit sich die Schnitzel mit dem Wasser verbanden. Eine anstrengende Tätigkeit, zumal man so lange rühren muss, bis die Schnitzel ihre weiße Farbe verlieren. Langsam sickerte das Wasser durch den Filter in eine Schale, die ebenfalls aus Rinde hergestellt war. Die Flüssigkeit bleibt anschließend so lange darin, bis die weiche, aus den Schnitzeln gewonnene Masse nach unten sinkt und sich oben das Wasser absetzt. Manchmal schwappt das Wasser auch über den Rand, und was übrig bleibt, nennt man rohen Sago.
Sago-Baum
Anschließend wird die Masse getrocknet, zu runden Teigbällen geformt und in Rinde eingewickelt. Damit kann man dann entweder kleine Tiere wie Salamander, kleine Fische, Mäuse oder
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