Ruf Des Dschungels
Fledermäuse umhüllen und im Feuer backen, oder der Sago wird ohne weitere Zutaten in große Blätter gefüllt und in den Flammen gegart, bis er außen eine dunkelbraune Färbung angenommen hat. Die harte Kruste wird entfernt und gegessen, während man das Innere wieder ins Feuer legt. Diese Prozedur wiederholt man so lange, bis nichts mehr oder höchstens ein kleiner Teigrest übrig ist. Den bekommen dann oft die kleinen Kinder, die noch keine Zähne haben und die weiche Masse besser schlucken können als die harte Kruste.
Nachdem ich Fusai eine Weile zugesehen hatte, versuchte ich mich selbst an der Prozedur und vermischte Schnitzel mit Wasser. Es dauerte nicht lange, bis meine Arme schwer wurden und mein Rücken in der unbequemen Position anfing zu schmerzen. Jetzt wusste ich, warum die Frauen hier alle so muskulöse Arme hatten. Die Herstellung von Sago zählt nämlich zu den fast täglich anfallenden Hausarbeiten.
Ich beschloss, dass ich für heute genug getan hatte, ließ Fusai wieder ans Werk und ging hinüber zum Feuer. Denn bald mussten die Kwas gar sein, und eine weitere Mahlzeit wartete auf uns.
Die Jungen machten sich zwischen den Bäumen auf die Jagd nach Insekten, während die Mädchen sich zu mir um das Feuer setzten. Gebannt beobachtete ich eine ganze Ameisenarmee, die aus einem Baumstamm quoll, den gerade jemand in die Flammen gelegt hatte. Zu Hunderten machten sie sich auf die Flucht, viele von ihnen bepackt mit weißen Ameiseneiern, die schon deutlich die Form der Tiere angenommen hatten. Sophia-Bosa begann, sämtliche Ameisen um mich herum zu erschlagen, da ihre Bisse extrem schmerzhaft waren. Dennoch blieb ich sitzen und sah fasziniert zu, wie die Ameisen versuchten, sich in Sicherheit zu bringen. Diejenigen, die es nicht schafften und den Flammen zum Opfer fielen, verwandelten sich zischend in kleine schwarze Bälle und zerfielen.
Den Menschen, die in der westlichen Welt leben, mögen so manche Aspekte des Dschungellebens grausam erscheinen. Doch in diesem Teil der Welt gelten nun mal nach wie vor die Gesetze der Natur, was letztlich heißt, dass der Stärkere überlebt. Die einen sind Jäger, andere die Beute, der Stärkere jagt den Schwächeren. Das System gleicht einer Pyramide, an deren Spitze als Stärkster der Mensch steht, während die winzigen Insekten sich an ihrem Fuße tummeln. Dennoch sollte man stets auf der Hut sein, denn auch die Schwachen können sich wehren, im Extremfall sogar mit tödlichen Folgen. Egal, an welcher Stelle man sich innerhalb dieser Pyramide befindet – gegenseitiger Respekt ist zum Überleben dringend notwendig.
Gestärkt kehrte ich zu Fusai zurück und half ihr noch etwa eine Stunde lang, die Schnitzel zu rohem Sago zu verarbeiten. Die Nachmittagssonne stand schon tief am Himmel, als wir uns endlich auf den Rückweg ins Dorf machten. Der Tag war lang und arbeitsreich gewesen und voller erledigter »Pläne«, wie Papa nun sagen würde. Meine Arme schmerzten von der schweren Arbeit, und mein Rücken war ganz steif vom vielen Bücken.
Die Dusche am Abend hatte ich mir damit redlich verdient. Seife und Shampoo hatte ich endgültig abgeschafft – schließlich interessierte es hier sowieso niemanden, wie ich aussah oder roch. Inzwischen empfand ich den feuchten Film, der sich immer wieder auf meiner Haut bildete, sogar als angenehm. Ein ungewohnter, anderer Geruch hatte sich allmählich auf meinem Körper ausgebreitet; eine seltsame Mischung aus süßem Zuckerrohr und der sauren Note nach Sumpf.
Ich spürte, wie sich mein Geist beruhigte und meine Bewegungen dazu passend immer langsamer wurden. Ein Anflug von Sorglosigkeit stahl sich in mein zuvor so hektisches Leben, das ich zunehmend hinter mir ließ. Ja, es fühlte sich gut an, so ruhig und entspannt und vor allem … friedlich.
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7 Reise in die Vergangenheit
D unkelheit hatte sich über das Land gesenkt, die schmale Mondsichel hing am Himmel, und die Sterne funkelten in der unendlichen Weite des Universums.
Klagelieder der Fayu erfüllten die feuchte Nachtluft. Ich konnte nicht schlafen. Ich fürchtete mich vor den Dämonen der Vergangenheit, die tagsüber in ihrem Versteck lauerten, um im Dunklen zum Vorschein zu kommen und mich zu quälen.
Ich musste mich ablenken, auf andere Gedanken kommen, ich musste die Mauer aus Angst und Depression, die sich in diesem winzigen Raum aufgebaut hatte, endlich einreißen. Ein Geräusch durchbrach meine Gedanken. Ein Kratzen, Schaben, Trippeln, immer hin
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