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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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angelaufen und vom Zahn der Zeit zerfressen, dass sich die einst vorhandenen Verzierungen nur mehr erahnen lassen. Er war von Sir Henry Wraxford um das Jahr 1640 in Auftrag gegeben worden, als eine Art
memento mori:
Seine sterblichen Überreste sind darin bestattet.
    In dem Alkoven zwischen dem Kamin und der Bibliotheksmauer steht eine große Ritterrüstung, wie von Feuer geschwärzt. Zunächst hält man sie für das Werk eines mittelalterlichen Handwerkers, aber bei genauerem Hinsehen ähnelt sie von der Taille abwärts einem ägyptischen Sarkophag in der Gestalt eines Menschen. Keine hundert Jahre ist es her, dass das Stück in Augsburg hergestellt wurde, etwa zur selben Zeit wie der von Kempelen gefeierte Schach-Automat. Thomas Wraxford brachte es aus Deutschland zur Verschönerung des Herrenhauses mit.
    Ansonsten gibt es in der Galerie kein Mobiliar, abgesehen von zwei hohen Stühlen und einem langen Tisch – der dient meinem Onkel als Arbeitsplatz – unterhalb des Fensters, wo auf Ihrem Bild das Licht zu sehen ist. Über dem Tisch hängen Bilder,die Wraxfords Vergangenheit darstellen; die gegenüberliegende Wand ist mit der üblichen Sammlung an alten Waffen, Trophäen und verblassten Teppichen geschmückt, die insgesamt den Eindruck von Trostlosigkeit verstärken. Ein kalter, öder und widerhallender Ort, der nach Feuchtigkeit und Verfall riecht.
    Die Bibliothek nebenan ist das typische Sammelsurium eines Gentlemans auf dem Land, vollgestopft mit Werken, die kein Mensch jemals lesen möchte. Wenn er mich hereinlässt, ist der Tisch immer frei von Büchern und Papieren; seine alchemistischen Werke sind in einem Wandschrank eingeschlossen.
    Aber zurück zu meinem Besuch: Ich kam am späten Nachmittag an, und ich hatte einige Stunden allein, bis mein Onkel um sieben Uhr aus der Bibliothek kommen würde. So ging ich aus dem Haus, um mir die Blitzableiter nochmals genauer anzusehen.
    Nun bemerkte ich, dass das Fenster, das der Hauptleitung am nächsten war – es liegt direkt über dem Punkt, an dem die Leitung in der Mauer verschwindet   –, einen Spalt offen stand. Vermutlich die Schuld eines der Handwerker, sind doch die Fensterflügel zu hoch, als dass mein Onkel sie erreichen könnte. Und obwohl ich mir nicht sicher sein konnte, meinte ich mich doch zu erinnern, dass die Rüstung unterhalb des Fensters stand. Ungestalte Vermutungen schossen mir durch den Sinn, wobei ich sie nicht zu benennen vermochte. Ich umrundete das Herrenhaus einmal vollständig. Sonst hatte sich nichts verändert.»
     
    Ich war so versunken in die Erzählung, dass ein Klopfen an der Tür mich aufschrecken ließ. Es war Joshia, der die Lampen anzünden und das Feuer entfachen wollte. Draußen war es fast dunkel geworden.
    «Entschuldigen Sie», sagte Magnus, «ich nehme Ihre Zeit in Anspruch, und vermutlich haben Sie anderes zu tun   …»
    Ich versicherte ihm, dass dem nicht so sei. Er hatte (wie ich später noch feststellen sollte) ein außergewöhnliches Geschick, seine Sprache der Redeweise und dem Rhythmus seines Gegenübers anzupassen, so subtil, dass man es kaum bemerkte, und daher schien es mir, nach gerade einmal einer Stunde mit ihm, als wäre ich in der Gesellschaft eines vertrauten Freundes. Und so drängte ich ihn, nachdem klar war, dass er im White Lion nächtigte, zum Essen zu mir zu kommen – was er nach den üblichen Einsprüchen gerne annahm – und einstweilen eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen, während er in seiner Erzählung fortfuhr.
     
    «Die Mahlzeiten werden bei meinem Onkel ausnahmslos in einem kleinen Frühstückszimmer auf der Rückseite des Hauses eingenommen. Aber dieses Mal hatte Drayton für zwei Personen in dem höhlenartigen Esszimmer gedeckt, ein muffiges, dunkel getäfeltes Mausoleum, direkt unter der Bibliothek. Es gab kein Feuer. Mein Onkel trug einen Schal und wollene Fäustlinge; ich wäre froh um meinen Paletot gewesen. Wir aßen beim Licht von einigen Kerzen an einem Tisch für vierzig Personen zu Abend; Drayton war irgendwo in der Dunkelheit hinter mir geschäftig. Mein Onkel suchte immer wieder heimlich meinen Blick, um ihm dann schnell wieder auszuweichen. Etliche Male dachte ich, er sei im Begriff zu sprechen, bis er sich endlich räusperte, Drayton mit einem Wink bedeutete, den Raum zu verlassen, und aus seinem Mantel ein Bündel Papier hervorholte.
    ‹Du weißt›, sagte mein Onkel und klopfte auf das Dokument, ‹dass ich dich zu meinem Erben erklärt habe. Jetzt gibt es einen

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