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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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gerade ein Glückspilz, was das Finanzielle angeht – was natürlich das Misstrauen gegen ihn verstärkt.»
    Ich weiß nicht, was ich eigentlich erwartete, aber als Magnus Wraxford in das Büro geführt wurde, war mir klar, dass ich mich einem Mann von überragender Intelligenz gegenübersah, obgleich er nichts Herablassendes an sich hatte. Er war etwa so groß wie ich (eine Winzigkeit fehlte zu sechs Fuß), aber breiterin den Schultern, er hatte volles schwarzes Haar und einen akkurat gestutzten Spitzbart. Seine großen Hände hatten kräftige Finger mit kurzgeschnittenen Nägeln. An der rechten Hand trug er einen goldenen Siegelring, der das Bild eines Phönix zeigte. Was die Aufmerksamkeit sofort auf sich zog, waren seine Augen unterhalb einer hohen, gewölbten Stirn: Sie lagen tief, waren von einem dunklen Braun und leuchteten außergewöhnlich. Bei aller Freundlichkeit der Begrüßung hatte ich das unangenehme Gefühl, dass meine innersten Gedanken offen vor ihm lagen. Was vermutlich der Grund dafür war, dass ich, als seine Augen zu dem Bild «Wraxford Hall im Mondschein» wanderten, sofort mein Eindringen gestand. Weit entfernt von jeglicher Missbilligung, bewunderte er das Bild so ehrlich, dass ich ziemlich entwaffnet war, umso mehr, als er alle Entschuldigung meinerseits für unnötig befand.
    «Es tut mir sehr leid», sagte er, «dass mein Onkel sie so unhöflich abgefertigt hat. Er ist, wie Sie unschwer bemerkt haben werden, eine sehr ungeselliger Mensch. Er duldet mich nur, weil er glaubt, dass ich ihm behilflich sein könnte in – seiner Forschung. Aber Sie und ich, wir sind uns doch schon einmal begegnet? In der Stadt, in der Akademie letztes Jahr – der Turner-Nachlass? Ich habe Sie dort ganz sicher gesehen.»
    Seine Stimme wie auch sein Blick waren wunderbar überzeugend. Ich hatte wirklich die Ausstellung besucht, und auch wenn ich mich nicht daran erinnern konnte, ihn dort gesehen zu haben, war ich doch halbwegs davon überzeugt, dass wir uns dort begegnet sein mussten. Zumindest hatten wir beide «Rain, Steam and Speed» bewundert, hatten die ablehnende Haltung, die es noch immer hervorrief, beklagt. Wie alte Freunde ins Gespräch über Turner und Ruskin vertieft, ließen wir uns am Feuer nieder, als Joshia den Tee brachte. Es war vier Uhr nachmittags, ein kalter, bewölkter Tag, an dem das Licht schon langsam schwand.
    «Ich sehe, dass mein Onkel in dieser Nacht gearbeitet hat – essei denn, das unheimliche Glimmen in den Fenstern der Galerie ist ein Resultat Ihrer Inspiration», sagte Magnus, als er mein Bild erneut betrachtete.
    «Nein, da war wirklich ein Licht; ehrlich gesagt war es irgendwie beängstigend. Die Leute hier glauben fest daran, dass es auf Wraxford spukt und dass Ihr Onkel Tote beschwört.»
    «Ich fürchte, dass diese Geschichten nicht ganz unwahr sind, zumindest was den zweiten Punkt angeht   … Sie haben die Blitzableiter bemerkt, wie ich sehe.»
    Ich hatte das leichthin gesagt, was seine Antwort umso erstaunlicher machte. Einen Moment glaubte ich, er müsse «diese Geschichten sind ganz unwahr» gesagt haben.
    «Ja, ich habe noch nie so viele auf einem Gebäude gesehen. Hat Ihr Onkel große Angst vor Gewittern?»
    «Ganz im Gegenteil   … Aber ich sollte Ihnen zuerst sagen, dass die Blitzableiter ursprünglich von meinem Großonkel Thomas angebracht wurden, etwa vor achtzig Jahren.»
    «War das», fragte ich, im Zweifel, ob ich mich nicht erneut verhört hatte, «Thomas Wraxford, der seinen Sohn dadurch verlor, dass dieser von der Galerie fiel – und der später verschwand?»
    «Genau der. Diese Galerie ist jetzt der Arbeitsplatz meines Onkels. Aber die Blitzableiter – damals eine Neuheit – waren mindestens zehn Jahre vor dem Unglück angebracht worden. Und, nein: Ihre Ohren haben Sie gerade eben nicht getäuscht   …»
    Mein Gesichtsausdruck muss mein Erstaunen über sein scheinbares Hellsehen bekundet haben.
    «In der Tat, Mr   Montague, ich fürchte, mein Onkel hat sich an ein Experiment gewagt, das ihn – und möglicherweise auch andere – in Lebensgefahr bringen wird, wenn man ihn nicht davon abbringen kann. Und so dachte ich, ich sollte Ihnen die Lage der Dinge mitteilen und – wenn Sie dazu bereit wären – Ihren Rat suchen.»
    Ich versicherte ihm, dass ich alles tun würde, was in meiner Macht stand, und drängte ihn, mit seiner Erzählung fortzufahren.
     
    «Wissen Sie, mein Onkel und ich standen einander nie nahe. Ich besuche ihn ein- oder

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