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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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Zunächst schien es auf dem Tisch nichts von Interesse zu geben, aber am anderen Tischende sah ich dann einen schmalen Folianten mit einem Einband aus Pergament.
    Es handelte sich um ein Manuskript, das in einer unleserlichen, gotischen Handschrift geschrieben war. Auf der Titelseite stand nur
Trithemius. Die Kraft des Blitzes. 1697.
Lesezeichen waren an verschiedenen Stellen eingelegt. Das musste das geheimnisvolle alchemistische Werk sein, das meinen Onkel so in Begeisterung versetzt hatte. Der wirkliche Trithemius, wie Sie vielleicht wissen (ich musste im British Museum nachschlagen, als ich wieder in London war), war im späten fünfzehnten Jahrhundert der Abt von Sponheim, mutmaßlich ein Zauberer, der des ‹teufelischen werkes› beschuldigt wurde. Es heißt, er habe ein ‹ewiges Feuer› erfunden. Unser Trithemius, der Autor des Manuskripts, steht nicht im Katalog, was bedeutet, dass mein Onkel wohl die einzige Abschrift diese Buches – oder eine von wenigen – besitzt.
    Ich versuchte, den Anfang zu lesen. Doch obgleich das Buch auf Englisch geschrieben ist, war es nahezu unverständlich, und so schlug ich eine der markierten Stellen auf. Die Abbildungließ mich erneut erschauern. Sie zeigte vier stilisierte Abbildungen, deren erste eine Rüstung darstellte – keine Ahnung, ob sie besetzt oder leer war – mit einem langen Stab oder Stiel, der senkrecht vom Helm nach oben ragte. Auf der zweiten war ein gezackter Blitzstrahl abgebildet, der die Spitze des Stabes traf; die dritte zeigte die Rüstung, umgeben von einem Lichtkranz. Auf der letzten sah man – wobei die Kunstfertigkeit des Zeichners der Aufgabe nicht gewachsen war – eine glimmende Figur, die sich von der Rüstung abzulösen schien; oder vielleicht vereinten sich die beiden auch zu einer Figur, das war nicht auszumachen.
    Ich schlug die erste markierte Passage auf, weil ich es für besser hielt, von Anfang an zu lesen. Mir war sofort klar, dass ich das abschreiben musste. Hier ist eine Kopie davon», sagte er und reichte mir einen Bogen Papier:
     
    Wie ajn magnet suchet den norden, so habe ich entdecket durch experimentieren, das ein blitzstrahl gelenket werden kan von einem eisernen stab auf eines hügels kuppe. Und so wage ich zu bejahen die frage, die Hiob dem Herrn stellte:
     
    kanst du die blitzen auslassen, das sie hinfaren und sprechen: hie sind wir?
     
    Denn es steht geschrieben im Buch der Offenbarung:
    Und der Engel nam das Reuchfas und füllet es mit feuer vom Altar und schüttets auf die erden. Und da geschahen stimmen und donner und blitzen &ct.
     
    Wenn da sey ajn man, welcher wuzste zu lenken die kraft des
blitzes
, gleich dem rechenden Engel am Tag des Jüngsten Gerichts – das licht so wie das dunkel, denn es mag hier zu halten seyn mit den
gnostikern
– und wenn er hat die herrschafft über die selen der lebendigen und der todten: die macht zu binden
und zu lösen, und erstehen zu lassen und fallen zu lassen, dann sey er ein warer mester, der den
ritus
zu thun wejzs, von welchem ich an andrer stelle geschriben. Denn wie ein junger
baum
veredelt einen
alten
, so
     
    «Das ist leider alles», sagte er, als ich ihn erwartungsvoll anblickte. «Ich wollte gerade umblättern, als ich ein Geräusch von der Bibliothek her hörte: Ein Schlüssel wurde im Schloss gedreht. Ich löschte die Kerze, schloss das Buch und bewegte mich so schnell ich konnte zum Haupteingang. Aber schon näherten sich Schritte von der Bibliothek her, und ich wusste, dass die Tür zum Korridor, wenn man sie in Eile öffnete, einigen Lärm machen würde. Unmöglich, mich hochzuziehen, über das Gesims zu schwingen und hinter mir das Fenster zu schließen. Ich hätte unter den langen Tisch kriechen können, aber der Gedanke, dort entdeckt zu werden, kleinlaut hervorkriechen zu müssen und meinem Onkel gegenüberzutreten   … Nein. Es gab nur ein Versteck. Ich nahm das Schwert, zog es zu mir, trat in die Rüstung, und schlüpfte dabei mit dem rechten Arm in sein metallenes Gegenstück. Die Rüstung schloss sich um mich, ich steckte in absoluter Dunkelheit.
    Vom ersten Augenblick an bekam ich kaum Luft, und es wurde schnell erstickend heiß. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, nahm ich ein schwaches Glimmen wahr. Wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellte, konnte ich durch den Spalt des Visiers den Schein der Kerze meines Onkels sehen – zumindest nahm ich an, dass es mein Onkel war, der durch den Raum ging. Einmal hielt es direkt vor

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