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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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mir inne – selbst auf Zehenspitzen konnte ich nur nach oben sehen   –, und ich erwartete, wie mir schien, mehrere Minuten, dass die Platten aufspringen würden. Endlich wich das Licht zurück und verschwand in einem Geklapper von Schlössern und Riegeln. Aber ich wagte nicht sofort mich zu bewegen. Als wieder alles in Stille versunken war, packte mich eineschleichende Todesangst, die sich um die Worte spann, die ich eben abgeschrieben hatte: ‹Denn wie ein junger
baum
veredelt einen
alten
›. Ich sah, wie sich schwarze Wolken über Wraxford zusammenbrauten   …
     
    Aber genug davon. Ich erwähne es nur zur Erklärung dafür, warum ich, sobald ich aus der erstickenden Gefangenschaft befreit war, sofort an Flucht dachte. Der Abstieg war freilich noch gefährlicher als das Hinaufklettern, und ich kam unten mit etlichen Kratzern und Schürfwunden an. Zu meiner Erleichterung verabschiedete mein Onkel mich am nächsten Morgen nicht. Ich erwog, Drayton ins Vertrauen zu ziehen, aber ich zweifelte daran, dass er irgendetwas vor seinem Meister verbergen konnte, und so beschränkte ich mich auf die Bemerkung, dass ich mich um die Gesundheit meines Onkels sorgte. Drayton versprach, mir ein Telegramm nach London zu senden, falls es einen unglücklichen Vorfall gebe.
    Das bringt mich nun endlich zum Grund meines Besuches. Wie Sie vielleicht wissen, habe ich ein besonderes Interesse an Herzkrankheiten und muss oft die Stadt verlassen, wenn ein fachkundiges Urteil zu geben ist. So bin ich nicht immer kurzfristig auffindbar. In diesem Fall käme Drayton direkt zu Ihnen. Aber abgesehen davon, dass ich Ihnen von der Lage der Dinge berichten wollte, frage ich mich – obgleich es Ihnen, als dem Repräsentanten meines Onkels, vielleicht unangemessen scheint, mir einen Rat zu geben   –, ob Sie juristische Möglichkeiten kennen, um dem Desaster vorzubeugen, statt – die Wendung ist fast unvermeidlich – darauf zu warten, dass das Gewitter losbricht.»
    Das Feuer brannte schwach; ich erinnerte mich vage, dass ich Joshia vor einiger Zeit hatte weggehen hören.
    «Ich halte es nicht für unangebracht», sagte ich, während ich unsere Tassen erneut füllte, «Ihnen einen Rat zu geben – angesichts der außergewöhnlichen Umstände. Aber der einzigeWeg, der sich eröffnet, ist ein sehr drastischer, nämlich Ihren Onkel in eine Irrenanstalt einzuweisen. Und natürlich besteht die Gefahr, von Ihrer Seite her betrachtet, dass er sich an Ihnen rächen und Sie enterben könnte, wenn das misslingt. Meinen Sie, dass zwei Ihrer Kollegen – als der zukünftige Erbe können Sie selbst das nur schlecht tun – bereit wären, die entsprechenden Atteste auszustellen?»
    «Ich bin mir nicht sicher, ob sie dazu bereit wären», antwortete er. «Wir können nicht beweisen, dass er die Rüstung zu irgendeinem finsteren Zweck verwenden will. Er könnte glaubhaft vertreten, dass er wissenschaftliche Untersuchungen zur Erforschung der Auswirkungen von Blitzen anstellt. – Was seine Forderung angeht, dass drei Tage lang niemand sein Reich betreten darf, wenn er (vermutlich) die Tür nicht mehr öffnen wird: Muss ich mich, juristisch gesehen, dem fügen, wenn ich das Anwesen nicht verlieren will?»
    «Wenn er mit solch einer Auflage zu mir käme», sagte ich nach einigem Nachdenken, «würde ich mich weigern, sie ins Testament aufzunehmen, denn sie ist widersinnig. Ein Testament hat keine Gültigkeit, ehe es vollstreckt ist, es kann aber erst vollstreckt werden, wenn der Erblasser tot ist. Und Sie können nicht wissen, ob er tot ist oder nicht, ehe Sie die Galerie betreten, was er Ihnen ja verbieten will. Wenn Sie glauben, dass er krank ist oder im Sterben liegt, dann haben Sie die moralische Pflicht – die das Gesetz mit Sicherheit anerkennt   –, ihm zu Hilfe zu kommen. Im Fall, dass Sie einbrechen und er
nicht
tot ist, besteht für Sie natürlich die Gefahr, dass er seine Drohung wahr macht und Sie enterbt. In der Tat   … angenommen, Drayton käme zu mir mit der Mitteilung, er sorge sich um Ihren Onkel, dann wäre es besser, wenn
ich
einbräche. Wenn er noch lebte, könnte er mich nur fortschicken; und wenn er tot wäre, nun, dann gäbe es ohnehin kein Problem   …»
    Ich fragte mich, als ich ihm dieses Angebot machte, ob dasnicht leichtsinnig war, aber Magnus dankte mir so sehr, dass es unhöflich gewesen wäre, das Angebot zurückzunehmen. Dabei beließen wir die Angelegenheit fürs Erste und traten in die kalte Nachtluft hinaus, um

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