Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
Vom Netzwerk:
ihn des Nachts.»
    «Heißt das, dass es dort spukt?»
    «Angeblich. Es gibt diese Geschichten   …»
    Ein ängstlicher Blick von Ada brachte ihn zum Schweigen.
    «Wirklich», sagte ich, «es macht mir nichts aus, von Gespenstern zu reden. Ich denke von meinen – meinen Visitanten noch nicht einmal als Geister, und ganz abgesehen davon habe ich mich doch sehr erholt. Ich möchte alles über das Anwesen hören. Es klingt so romantisch. Und seht, da führt ein Weg in den Wald   –»
    «Nein», sagte George entschieden, «wir müssen weiter nach Orford.»
    «Wenn du uns schon nicht dorthin führen magst», sagte ich, «dann bestehe ich doch darauf, dass du mir alles darüber erzählst.»
    «Da gibt es nicht viel zu erzählen», sagte George, während wir weitergingen. «Nach dem hiesigen Aberglauben geht der Geist eines Mönchs im Wald um, der immer kurz vor dem Tod eines der Wraxfords erscheint. Es heißt, dass jeder, der die Erscheinung sieht, innerhalb eines Monats sterben wird. Es würde mich nicht wundern, wenn die Wraxfords selbst diese Legende in die Welt gesetzt hätten, um Menschen fernzuhalten. Die Familie hat seit Ewigkeiten nicht am öffentlichen Leben teilgenommen. Aber das hat nichts zu bedeuten. Nein, das einzig Merkwürdige ist, dass die beiden letzten Eigentümer verschwunden sind.»
    «Wie meinst du das? ‹Verschwunden›?»
    «Eben das. Nicht mehr, nicht weniger. Zwischen den beiden Fällen lagen etwa fünfzig Jahre. Der Erste war Thomas Wraxford, ein Witwer. Er hatte großartige Pläne für das Anwesen, als er es irgendwann in den 1780er Jahren, glaube ich, erbte.Aber dann verunglückte sein Sohn, und seine Frau kehrte zu ihrer Familie zurück. Er lebte viele Jahre bis ins hohe Alter allein in dem Herrenhaus. Eines Abends ging er wie üblich zu Bett, doch als am nächsten Morgen sein Kammerdiener kam, um ihn zu wecken, war er nicht mehr da. Es hatte einen heftigen Wolkenbruch mit Blitz und Donner gegeben, kurz nachdem er sich zu Bett begeben hatte, aber dann klarte es auf und die Nacht war sternenklar. Die Laken waren nicht angerührt worden, es gab kein Zeichen eines Kampfes. So nahm man an, dass er in den Wald gegangen war – vielleicht verwirrt von dem Gewitter – und in eine Grube oder etwas Ähnliches gefallen. Der Wald ist so zugewachsen, weißt du, und es gibt allerlei alte Schächte – früher hat es dort Zinnminen gegeben   –, sodass man leicht darin verunglücken kann.»
    «Und – der andere?», fragte ich mit einem leichten Schaudern. Der Pfad fiel wieder ab und lief nun parallel zum Waldrand. Der Wald sah wirklich sehr dicht aus, er war so voller Kletterpflanzen und herabgefallener Äste, dass man nur wenige Meter weit sehen konnte.
    «Cornelius Wraxford   – Thomas’ Neffe, der nächste männliche Nachkomme – trat an das Gericht von Chancery heran, um Thomas’ Ableben bestätigen zu lassen. Er   – Cornelius – war Gelehrter an irgendeinem College in Cambridge, das er verließ, sobald das Urteil verkündet worden war – etwa 1820, glaube ich   –, und nahm Wraxford Hall in Besitz. Dort blieb er weitere fünfundvierzig Jahre, lebte das Leben eines Einsiedlers, bis zu diesem Frühjahr, wo dasselbe erneut geschah. Wie gewohnt ging er zu Bett, abermals – ein merkwürdiger Zufall – in der Nacht eines heftigen Gewitters, und wurde nie wieder gesehen.»
    «Aber – was glaubst du, was ihm widerfahren ist?»
    «Das weiß niemand. Natürlich gab es eine Menge Gerede. Im Ship war man allgemein der Meinung, dass beide vom Teufel geholt wurden. Ich frage mich selbst, ob Thomas WraxfordsSchicksal mit dem Verstand seines Neffen sein Spiel getrieben haben könnte, bis dieser schließlich dem Wahnsinn verfiel und sich, ausgelöst durch das Gewitter, in den Kopf setzte, seinem Onkel zu folgen.»
    «Wie King Lear in der Heide», sagte Ada. «Ich erinnere mich gut an das Gewitter. Er muss wirklich wahnsinnig gewesen sein rauszugehen.»
    «Und was wird nun aus Wraxford Hall?», fragte ich.
    «Ich glaube, dass der Erbe – ein gewisser Magnus Wraxford, ich weiß nichts über ihn – die Bestätigung des Ablebens beantragt hat. Mag sein, dass sich die Richter wundern werden, aber ich nehme an, dass er keine Schwierigkeiten damit haben wird. Cornelius muss mindestens achtzig Jahre alt gewesen sein.»
    «Und jetzt», sagte Ada, «ist es höchste Zeit, dass wir von etwas Erfreulicherem reden.»
    Ich insistierte nicht weiter. Aber die Vorstellung von einem alten Mann, der durch den

Weitere Kostenlose Bücher