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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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Bauern, deren Urgroßväter schon dieselben Felder auf dieselbe Weise bestellt hatten. Nördlich und westlich der Gemeinde lagen Felder, im Osten Weideland, zum Meer hin zunehmend mit Stechginster und Marschland.
    Innerhalb einer Woche hatte ich wieder Farbe bekommen und schlief so fest, dass ich mich kaum an meine Träume erinnern konnte. Ada und ich gingen jeden Tag stundenlang spazieren, und ich begann die Landschaft mit neuen Augen zusehen. Jedes Feld, jeder Pfad, selbst jede Hecke im Dorf hatte einen eigenen Namen, eine eigene Geschichte, vom Gravel Pit Walk am Westende zum Roman Kiln Field am Fluss am Ostrand. Bei unserem ersten Ausflug fand ich einen Hexenstein – einen Feuerstein mit einem Loch darin. Die Bauern loben ihn als ein Zeichen von Glück, und ich legte ihn neben mein Kopfkissen, als Amulett gegen weitere Visitationen.
    Obgleich Ada entgegen der Prophezeiung meiner Mutter nicht unter der Muße litt, sah ich, wie einsam ihr Leben geworden war. Sie hatte sich sehr ein Kind gewünscht. Ein Jahr nach der Heirat war sie nun immer noch nicht schwanger und fürchtete, sie könne unfruchtbar sein. Und George, so vertraute sie mir an, zweifelte immer mehr an seinem Beruf. «Ich kann ihm zuhören, Fragen stellen, und meistens kann ich dem folgen, was er erzählt, aber er vermisst es, sich mit anderen Männern über seine Ansichten und Gedanken auszutauschen. Er hat Lyell und Renan gelesen, die
Vestiges
und Darwin und fragt sich nun, was dem Glauben vorbehalten bleiben kann und ob es da überhaupt etwas gibt. Er spricht lieber nicht davon, aber es lastet auf seinem Gewissen, dass er auf Kosten von Menschen lebt, die erwarten und annehmen – vor allem in einer Gemeinde wie dieser   –, dass er die Schrift wörtlich für wahr hält. Aber er glaubt an das Gute, an Nächstenliebe und Toleranz, er lebt, was er predigt, was mehr ist, als man von vielen Geistlichen sagen kann, die sich strenggläubig nennen.»
    Ich hatte vierzehn Tage in Chalford verbracht, als George einen Ausflug zu dem normannischen Burgverlies in Orford vorschlug, einer kleinen Ansiedlung in Küstennähe, etwa vier Meilen entfernt. George war erst ein Mal dort gewesen, aber er schien den Weg genau zu kennen, als wir uns an einem bedeckten Nachmittag auf den Weg machten. Nach etwa einer Meile gestand er, dass wir einen anderen Weg gingen als den, den er kannte. «Aber», sagte er, «wir gehen mehr oder minder in südöstlicher Richtung, das kann allzu falsch nicht sein.»
    Selbst ich musste zugeben, dass die Gegend etwas Trostloses an sich hatte, sobald wir das Ackerland hinter uns gelassen hatten. Keine Straßen, keine Spur von Besiedlung, nur Schafe, die durch den Stechginster liefen, und hier und da das Aufschimmern einer grauen, bleiernen See. Nach einer weiteren halben Stunde stieg der Pfad langsam an. Büsche wucherten in den niederen Lagen; nur die Hügelkuppe, so wurde im Aufstieg deutlich, war beinahe kahl, die Schafe hatten sie abgefressen, und sie schien wie eine Tagesdecke aufgeworfen, in eigenartigen Falten und Mulden, die so gar nicht natürlich wirkten, als hätte eine riesige Kreatur gleich unter der Oberfläche ihre Tunnel gegraben. Ich wollte gerade fragen, wie sie zustande gekommen waren, als wir die Anhöhe erreichten und sich vor uns ein dunkler Wald auftat.
    «Das muss der Mönchswald sein», sagte George. «Wir sind deutlich weiter südlich, als ich dachte. Es ist bei weitem der älteste – und größte – Wald dieser Gegend.»
    «Gibt es dort ein Kloster?», fragte ich. Der dichte grüne Baldachin des Waldes schien sich von hier aus ziemlich geschlossen bis zum südlichen Horizont zu erstrecken.
    «Ja, es gab mal eines», sagte George, «aber es wurde von den Männern Heinrichs des Achten geplündert.»
    «Und was geschah dann?»
    «Das Land ging an die Wraxford-Familie zum Dank für ihre Dienste für das Königshaus. Seither ist es in Familienbesitz. Wraxford Hall wurde auf den Grundmauern des Klosters errichtet. Es muss mehr oder minder eine Ruine sein; ich habe es nie gesehen.»
    «Lebt dort jemand?»
    «Nein, schon nicht mehr seit   … also, es steht schon seit langer Zeit leer.»
    «Und wie weit ist es von hier nach Wraxford?», hakte ich nach.
    «Ich weiß es nicht», sagte George ausweichend. «Der Wald ist Privatbesitz, er gehört zum Anwesen.»
    «Aber wenn dort niemand lebt   …? Ich würde es zu gerne sehen.»
    «Das wäre Landfriedensbruch. Und der Wald hier hat keinen guten Ruf; selbst Wilderer meiden

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