Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!
ich! 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche.«
»Kannst du bitte deine widerlich gute Laune vor der Tür lassen?«
»Würde ich gern, aber da steht deine schon!«
»Haha! Komm hoch, Schwätzer! Und du, Robert? Warst du überhaupt schon mal verliebt?«
Er sitzt auf meinem Stuhl wie festgetackert. Der Schal schnürt seinen Hals ab, die achselnahe Jacke hat er abgelegt. Darunter trägt er einen 149-Mark-Polyesteranzug von C & A. Er winkt wieder ab.
»Das lassen wir mal, ja? Das ist im Moment nicht mein Thema. Kannst du bitte aufhören, mir überraschende Fragen zu stellen?«
Dabei hat er wieder diesen Gesichtsausdruck, der sagt: »Ich heiße Robert Krawollke, und wenn ich komisch bin, dann unfreiwillig!«
Inzwischen ist auch Dietrich eingetroffen, mit angelaufenen Brillengläsern, Poposcheitel und so stark pomadisiertem Haar, dass ich um meine Tagesdecke fürchte.
»Also gut«, sagt Robert anstelle einer Begrüßung, seltsam erregt, in seinem Gesicht zucken Muskeln, von deren Existenz ich bis dahin gar nichts wusste. Ich mache ein Polaroid, als er sagt: »Ich habe mich entschlossen zu heiraten.« Er sieht mich an, als sei er über sich selbst zu Tode erschreckt. Ich sehe Dietrich an. Der, hinter Robert stehend, fuchtelt sich vor der Stirn hin und her.
»Ich möchte Kinder. Täglich kommt es auf der Welt über 100 Million Mal zum Geschlechtsverkehr. Es entstehen910.000 Schwangerschaften. Neun Monate später werden 400.000 Babys geboren, und da … und da …« Robert stammelt wie einer, der eine Erklärung schuldig ist, aber keine hat: »Also, die soziale Isolation als solche wird völlig unterschätzt. Völlig! Die Welt steuert ja auf eine Katastrophe zu. Riesenkatastrophe. Laut Nostradamus soll schon 1999 Schluss sein mit lustig! Im August! Nun wird das Desaster vielleicht doch erst später kommen. Aber es kommt! Kommt bald! Das will man nicht allein erleben!«
»Typischer Fall von Millennium Madness«, sagt Dietrich und fischt nach der letzten Knax-Gewürzgurke. »Warum kratzen, wenn’s gar nicht juckt?«
Ich muss mir Mühe geben, ernst zu bleiben: »Wieso? Ist doch ’ne gute Idee! Verheiratete sind seltener krank, zahlen weniger Steuern und leben auch länger!«
»So gesehen!«, sagt Dietrich. »Jetzt, wo Gott geheiratet hat … sei’s drum! Warum nicht Robert? Frei von der Leber weg! Ich meine, die biologische Uhr tickt!«
»Genau!«, sage ich. »Man steckt nicht drin!«
Dietrich steckt drin, mit dem Finger in meinem Nutellaglas. Er leckt ihn ab, dann wieder ins Glas, dann leckt er wieder. Das erinnert mich an die
Seinfeld -Folge
, in der George Ärger kriegt, weil er auf einer Feier seinen Chip nach dem Abbeißen noch mal in die Soße tunkt. Double dipping. Ich werde mein Nutella wegschmeißen müssen.
Robert ist es bitterernst. Er zieht einen mehrfach gefalteten Kontoauszug aus der Tasche. »Ich habe gespart … wie sagt man dazu? Hundert Riesen! Hundert Riesen als solche, sozusagen …«
»Houhouhou!«, bellt Dietrich anerkennend. »Dafür muss ’ne alte Frau lange ficken!«
»Die Sache is ja wohl die, dass ich damit durchaus eineHochzeit ausrichten und ein Haus im Speckgürtel anzahlen kann.« Roberts Stimme klingt, als käme sie aus einem Abwasserkanal.
Speckgürtel. Linsen mit Bauchspeck. Schweineschwarte mit Borsten. Putensaftschinken. Formvorderfleisch.
Dietrich nickt unbewegten Gesichts: »Nur zu! Wer jetzt kein Haus baut, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben …«
Wir machen High Five.
Er greift nach meiner
TV Spielfilm,
bei der der aktuelle Tag mit einer großen Büroklammer markiert ist. Er zeigt auf die Büroklammer und schüttelt den pomadetriefenden Kopf. »Das sind Sekundärtugenden, mit denen man ein KZ leiten könnte.« Dann fällt sein Blick auf einen meiner Texte, der ausgedruckt auf dem Esstisch liegt, auf demselben Esstisch, auf den mich gestern Valmont gefesselt hat, um mich zu den Klängen der gregorianischen Gesänge aus
Eyes Wide Shut
auf jede erdenkliche Art und Weise zu ficken. »Ist das von dir?«, fragt Dietrich und schüttelt entgeistert den Kopf. »Das ist groß! Das ist … das ist … experimentelle Lyrik! Also, wenn ich dichte, dann klingt das ungefähr so: Gib mir mal das Dressing, Lessing! Iss halt mehr Obst, Jobst! Sieben Mal Bingo, Ingo! Halt den Rand, Kant! Aber das … Darf ich das haben?«
44. Kind kein Hindernis
Es dauert eine weitere halbe Stunde, ehe wir uns alle auf dem Bett installiert haben. Robert tauscht
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