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Ruf mich bei Deinem Namen

Ruf mich bei Deinem Namen

Titel: Ruf mich bei Deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Aciman
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hören, mit mir sei alles in Ordnung, ich sei nicht weniger normal als jeder andere junge Mann in meinem Alter. Ich hätte mich
damit zufriedengegeben und nicht mehr verlangt, als dass er sich gebückt und meine Würde aufgehoben hätte, die ich ihm so achtlos vor die Füße geworfen hatte. Ich war
Glaucus, und er war Diomedes. Im Namen eines obskuren Männerkultes gab ich meine goldene Rüstung für seine bronzene hin. Ein fairer Tausch. Keiner feilschte, keiner sprach von
Knausern oder Verschwendung.
    Da war noch das Wort »Freundschaft«. Aber Freundschaft, so wie alle den Begriff auslegten, war fremdes, fernes Zeug, mit dem ich nichts anzufangen wusste. Was ich mir statt dessen
wünschte, von dem Moment an, in dem er aus dem Taxi stieg, bis zu unserem Abschied in Rom, war das, was alle Menschen sich voneinander wünschen, was das Leben lebenswert macht. Den ersten
Schritt dazu würde er tun müssen – und ich vielleicht den zweiten.
    Es soll ja ein Gesetz geben, nach dem es, wenn sich jemand unsterblich verliebt, unweigerlich auch den anderenPartner erwischt. Amor ch’a
null’amato amar perdona, Liebe, die den Geliebten zwingt zu lieben, sagt Francesca im Inferno. Warte und hoffe. Ich hoffte, aber vielleicht war dies
von Anfang an mein Wunsch gewesen: In alle Ewigkeit zu warten.
    Wenn ich vormittags an meinem runden Holztisch saß und Transkriptionen ausarbeitete, dachte ich nicht an Freundschaft oder sonst etwas, es genügte mir, den Kopf zu heben und ihn dort
liegen zu sehen – Sonnenmilch, Strohhut, rote Badehose, Limonade. Den Kopf zu heben und dich zu sehen, Oliver. Denn bald genug wird der Tag kommen, an dem ich den Kopf hebe, und du wirst
nicht mehr da sein.
    Am späten Vormittag kamen häufig Freunde aus den Nachbarhäusern. Wir versammelten uns in unserem Garten und gingen dann gemeinsam hinunter zum Strand. Unser Haus
lag dem Wasser am nächsten, man brauchte nur ein Törchen in der Balustrade aufzumachen und den schmalen gestuften Klippensteig hinunterzugehen, und schon war man auf den Felsen. Chiara,
die vor drei Jahren kleiner gewesen war als ich und mich noch im vergangenen Sommer einfach nicht in Ruhe lassen konnte, war zu einer Frau erblüht, die sich auf die Kunst verstand, mich nicht
immer zu grüßen, wenn wir uns trafen. An einem Tag, als sie und ihre jüngere Schwester mit den anderen zu uns gekommen waren, griff Chiara sich Olivers Hemd vom Rasen und warf es
nach ihm. »Schluss jetzt. Wir gehen zum Strand, und du kommst mit.«
    Er tat ihr gern den Gefallen. »Ich will nur die Unterlagen in Sicherheit bringen, sonst zieht sein Vater mir bei lebendigem Leibe die Haut ab.« Und da er die Hände voll hatte,
deutete er mit dem Kinn auf mich.
    »Hast du Haut gesagt? Komm her«, sagte sie und machte sich daran, ihm mit den Fingernägeln langsam und vorsichtig ein Fetzchen losgelöste Haut von einer Schulter zu ziehen,
die goldbraun war wie ein Weizenfeld Ende Juni. Ich wünschte mir brennend, an ihrer Stelle zu sein.
    »Kannst seinem Vater von mir ausrichten, dass ich die Unterlagen so geknittert habe. Mal sehen, was er sagt.«
    Chiara hatte Olivers Manuskript überflogen, das er auf dem großen Esszimmertisch hatte liegen lassen, und rief nach oben, die Übertragung würde sie besser hinbekommen als
die hiesige Übersetzerin. Sie hatte – Expat wie ich – eine italienische Mutter und einen amerikanischen Vater und sprach mit beiden Englisch und Italienisch.
    »Kannst du auch tippen?«, kam seine Stimme von oben. Ich hörte, wie er in seinem Zimmer nach einer zweiten Badehose kramte, hörte die Dusche, hörte Türen
schlagen, das Schurren von Schubladen, das Poltern von Schuhen.
    »Und ob.«
    »So gut wie du sprichst?«
    »Besser. Und ich mach dir auch einen besseren Preis.«
    »Ich brauche fünf übersetzte Seiten pro Tag, pünktlich am Vormittag zur Abholung bereit.«
    »Dann kommen wir nicht ins Geschäft. Such dir jemand anderen«, giftete sie.
    »Ja, weißt du, Signora Milani braucht das Geld«, sagte er, als er wieder nach unten kam – flatterndes blaues Hemd, Espadrilles, rote Badehose, Sonnenbrille und die
rote Loeb-Ausgabe von Lucretius, die ihn auf Schritt und Tritt begleitete. »Ich finde sie okay«, setzte er hinzu und rieb seine Schultern mit Sonnenmilch ein.
    »Ich finde sie okay«, kicherte Chiara. »Ich finde dich okay, du findest mich okay, er findet sie okay …«
    »Lass das Gekasper und komm schwimmen«, sagte Chiaras Schwester.
    Erst nach und nach

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