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Ruf mich bei Deinem Namen

Ruf mich bei Deinem Namen

Titel: Ruf mich bei Deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Aciman
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denken …
    Einmal sah ich Oliver zusammen mit unserem Gärtner auf der Leiter stehen, um möglichst viel über Anchises Pfropfmethoden zu erfahren, dank derer unsere Aprikosen
größer, fleischiger, saftiger waren als überall sonst in der Region. Das Thema faszinierte ihn, zumal der Gärtner gern bereit war, jeden, der sich die Mühe machte, danach
zu fragen, an seinem Wissen teilhaben zu lassen.
    Wie sich herausstellte, wusste Oliver mehr über die verschiedensten Lebensmittel, Käse und Weine als wir alle miteinander. Selbst Mafalda war tief beeindruckt und ließ sich
manchmal von ihm beraten. Was meinen Sie, soll ich für die Paste ganz leicht Zwiebeln oder Salbei anrösten? Schmeckt es jetzt nicht zu zitronig? Ich hab’s verdorben, stimmt’s?
Ich hätte noch ein Ei zugeben sollen, es hält nicht. Soll ich die neue Küchenmaschine nehmen oder es auf die alte Art mit Mörser und Stößel machen? Meine Mutter
konnte sich hin und wieder eine bissige Bemerkung nicht verkneifen. Typisch cauboi, sagte sie, die wissen alles, was es übers Essen zu wissen gibt, weil sie nicht richtig mit Messer und Gabel
umgehen können. Gourmet-Aristokraten mit plebejischen Manieren. Füttert ihn in der Küche ab.
    Mit Vergnügen, hätte Mafalda gesagt. Und dann saß eines Tages Signor Ulliva, als er sehr spät von seiner Übersetzerin
zurückgekommen war, tatsächlich in der Küche, aß Spaghetti und trank dunklen Rotwein zusammen mit Mafalda, Manfredi – ihrem Mann und unserem Chauffeur –
und Anchise, die mit vereinten Kräften versuchten, ihm ein neapolitanisches Lied beizubringen. Es war nicht nur die Nationalhymne ihrer Jugend, die sie in Süditalien verbracht hatten,
sondern das Beste, was sie zu bieten hatten, wenn es um die Bewirtung eines königlichen Gastes ging.
    Er kriegte sie alle herum.
    Ich merkte, dass auch Chiara in ihn verschossen war, ebenso ihre Schwester. Selbst die Tennisfreaks, die sich seit Jahren immer am frühen Nachmittag bei uns versammelten,
um vor dem Abendessen noch einmal zum Schwimmen an den Strand zu gehen, blieben viel länger oben als sonst, in der Hoffnung, noch schnell eine Partie mit ihm spielen zu können.
    Bei jedem anderen unserer Sommergäste hätte ich das übelgenommen. Aber die Tatsache, dass alle so viel Gefallen an ihm fanden, war für mich wie eine wunderliche kleine Oase
des Friedens. Was konnte falsch daran sein, jemanden zu mögen, den alle mochten? Alle schwärmten für ihn, auch meine Vettern und andere Verwandte, die uns übers Wochenende oder
manchmal länger besuchten. Weil man mich als einen Typen kannte, der an allem und jedem etwas auszusetzen hatte, bereitete es mir eine gewisse Genugtuung, meine Gefühle für ihn unter
jener Indifferenz, Feindseligkeit oder Gehässigkeit zu verbergen, mit der ich allen zu begegnen pflegte, die mich zu Hause auszustechen drohten. Weil alle ihn mochten, musste ich sagen, dass
ich ihn auch mochte. Darin glich ich manchen Männern, die sich offen über das unwiderstehlich gute Aussehen eines anderen Mannes verbreiten, damit man nicht merkt, dass sie ihn am
liebsten umarmen würden. Mich der allgemeinen Begeisterung nicht anzuschließen, hätte nur meine Umgebung darauf aufmerksam gemacht, dass ich heimliche Gründe dafür hatte,
mich gegen ihn zu sträuben. Ja, doch, ich finde ihn sehr nett, sagte ich in den ersten zehn Tagen, wenn mein Vater mich fragte, was ich von ihm hielte. Die banale Formulierung war
Absicht – ich wusste genau, dass niemand bei dieser undurchsichtigen Aussage einen falschen Zungenschlag wittern würde. Er ist der wunderbarste Mensch, den ich kenne, sagte ich an
dem Abend, als wir vergeblich auf das winzige Fischerboot warteten, in dem er mit Anchise am frühen Nachmittag hinausgefahren war, und hektisch nach der Telefonnummer seiner Eltern in den
Staaten suchten für den Fall, dass wir ihnen das Schreckliche würden beibringen müssen.
    An jenem Tag zwang ich mich sogar, meine Hemmungen über Bord zu werfen und meinen Kummer genau so zu zeigen wie alle anderen, aber ich tat es auch, damit niemand auf die Idee kommen
könnte, ich hegte einen viel geheimeren, verzweifelteren Kummer – bis ich fast zerknirscht begriff, dass ein Teil von mir seinen Tod nicht bedauert hätte, ja dass die
Vorstellung, seine aufgedunsene, augenlose Leiche würde schließlich an unserer Küste angeschwemmt werden, etwas fast Erregendes für mich hatte.
    Aber ich machte mir nichts vor. Für mich stand fest, dass

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