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Ruf mich bei Deinem Namen

Ruf mich bei Deinem Namen

Titel: Ruf mich bei Deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Aciman
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hätte Lust, schnell noch mal schwimmen zu gehen, sagte ich und dachte, sie würde versuchen, mich zu bremsen, aber nein – nachts zu schwimmen fände
sie ganz toll, sagte sie. Sekunden später waren wir ausgezogen. »Du bist doch nicht nur mit mir zusammen, weil du sauer auf Chiara bist?«
    »Warum soll ich sauer auf sie sein?«
    »Seinetwegen.«
    Ich schüttelte scheinbar verständnislos den Kopf.
    Sie verlangte, dass ich mich umdrehte, während sie sich mit ihrem Pullover abtrocknete. Ich tat so, als schielte ich heimlich zu ihr hin, war aber zu brav, um nicht zu tun, was sie sagte.
Ich wagte nicht, sie zu bitten, nicht hinzusehen, solange ich mich anzog und war froh, dass sie wegschaute. Als wir nicht mehr nackt waren, küsste ich sie – erst auf die
Handfläche, dann zwischen die Finger, dann auf den Mund. Es dauerte, bis sie den Kuss erwiderte, aber dann wollte sie gar nicht wieder aufhören.
    Wir verabredeten uns für den nächsten Abend am selben Ort, und ich versprach, vor ihr da zu sein.
    »Aber sag keinem was«, bat sie.
    Ich deutete mit einer Handbewegung an, dass ich schweigen würde wie ein Grab.
    »Beinahe hätte es geklappt«, sagte ich am nächsten Morgen beim Frühstück zu meinem Vater und Oliver.
    »Und warum doch nicht?«, fragte mein Vater.
    »Keine Ahnung.«
    Oliver reagierte halb spöttisch, halb tröstend mit einem weidlich abgedroschenen Spruch. »Besser ein misslungener Versuch als gar keiner …« »Ich hätte
mich nur trauen müssen zuzugreifen, sie hätte Ja gesagt«, fuhr ich fort, um weiterer Kritik der beiden zuvorzukommen, aber auch, um ihnen zu zeigen, dass ich mich durchaus auch
selbst auf den Arm nehmen konnte, besten Dank. Es war natürlich reine Angeberei.
    »Versuch’s später noch mal«, sagte Oliver – typische Reaktion eines Menschen, der sich okay findet. Aber ich spürte, dass ihn etwas beschäftigte,
womit er nicht herausrücken wollte, witterte hinter seinem albernen, wenn auch gut gemeinten Versuch’s später noch mal etwas leicht Beunruhigendes.
Er kritisierte mich. Oder verulkte mich. Oder hatte mich durchschaut.
    Es war wie ein Schlag, als er es endlich aussprach. Nur jemand, der mich ganz durchschaut hatte, konnte so etwas sagen. »Wenn nicht später, wann dann?«
    Das war ganz nach dem Geschmack meines Vaters. »Wenn nicht später, wann dann?« Es war wie ein Echo von Rabbi Hillels berühmtem Ausspruch »Wenn nicht jetzt, wann
dann?«
    Oliver versuchte rasch, seine Bemerkung zu entschärfen. »Ich würde es auf jeden Fall noch mal versuchen. Und danach noch mal« – so seine verwässerte
Version. Aber das Versuch’s später nochmal war der Schleier, den er über das Wenn nicht später, wann dann? gezogen hatte.
    Ich wiederholte die Wendung, als sei sie ein prophetisches Mantra, das etwas darüber aussagte, wie er sein Leben führte und wie ich versuchte, das meine zu führen. Wer weiß,
vielleicht stolperte ich mit Hilfe dieses Mantras aus seinem Munde in einen Geheimgang zu einer verborgenen Wahrheit, die mir bislang entgangen war – einer Wahrheit über mich,
über das Leben, über andere, über mein Leben mit anderen.
    Versuch’s später noch mal war das Letzte, was ich mir Abend für Abend vorsagte, nachdem ich mir geschworen hatte, etwas zu unternehmen, um Oliver
wieder näherzukommen. Versuch’s später noch mal hieß: Ich trau mich nicht, es ist noch nicht so weit … Woher ich die Willenskraft und
den Mut nehmen sollte, es später noch mal zu versuchen, wusste ich nicht. Aber schon der Entschluss, etwas zu unternehmen, statt passiv abzuwarten, gab mir das Gefühl, dass ich bereits
dabei war, etwas zu tun – als hätte ich Zinsen auf Gelder kassiert, die ich gar nicht angelegt, geschweige denn selbst verdient hatte.
    Aber ich wusste auch, dass ich mich mit V ersuch’s später noch mal in einer Wagenburg verschanzte, und Wochen, Monate, Jahre, ein ganzes Leben im
Zeichen des Heiligen Versuch’s-später-noch-mal verstreichen konnten. Das Versuch’s später noch mal funktionierte bei Menschen wie Oliver.
W enn nicht später, wann dann ? war meine Losung.
    Wenn nicht später, wann dann? Was war, wenn er mir auf die Schliche gekommen war, wenn er mit diesen fünf beißenden Worten alle meine Geheimnisse
aufgedeckt hatte?
    Ich musste ihm zeigen, dass er mir völlig gleichgültig war.
    Was mich total aus der Bahn warf, war wenige Tage darauf ein Gespräch im Garten, als nicht nur meine Schmeicheleien in Sachen Chiara bei ihm

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