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Ruf mich bei Deinem Namen

Ruf mich bei Deinem Namen

Titel: Ruf mich bei Deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Aciman
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auf taube Ohren trafen,
sondern er mir rundheraus erklärte, ich sei auf einer völlig falschen Fährte.
    »Auf einer falschen Fährte? Wie meinst du das?«
    »Kein Interesse.«
    Kein Interesse an einem Gespräch oder kein Interesse an Chiara?
    »Für die interessieren sich doch alle.«
    »Mag sein. Ich nicht.«
    Ich blickte noch immer nicht durch.
    Seine Stimme klang trocken, gereizt und pedantisch zugleich.
    »Aber ich habe euch zusammen gesehen.«
    »Das geht dich überhaupt nichts an. Und ich spiele das Spiel weder mit ihr noch mit dir.«
    Er nahm einen Zug aus seiner Zigarette und warf mir diesen berüchtigten Blick zu, der sich einem eiskalt und mit arthroskopischer Präzision bis in die Gedärme bohren konnte.
    Ich zuckte die Schultern. »Dann entschuldige«, sagte ich und nahm mir meine Bücher vor. Wieder hatte ich den Bogen überspannt, und mit einigem Anstand würde ich aus
der Sache nur herauskommen, wenn ich zugab, dass ich schauderhaft indiskret gewesen war.
    »Vielleicht versuchst du’s ja mal«, warf er ein.
    Anzüglichkeiten waren mir bei ihm neu. Meist war ich es, der hart am Rand des Unschicklichen entlangschrammte.
    »Mit mir will sie nichts zu tun haben.«
    »Was du vielleicht bedauerst?«
    Wo sollte das hinführen? Und warum hatte ich das Gefühl, dass nach wenigen Schritten eine Falle lauerte?
    »Nein«, gab ich zaudernd zurück und merkte dabei nicht, dass sich dank dieser Zaghaftigkeit mein »nein« fast wie eine Frage klang.
    »Bestimmt nicht?«
    Hatte ich ihn womöglich davon überzeugt, dass ich sie von Anfang an gewollt hatte?
    Ich machte einen kläglichen Versuch, zum Gegenangriff überzugehen.
    »Was weißt denn du?«
    »Dass du sie magst zum Beispiel.«
    »Du hast doch keinen Schimmer von dem, was ich mag«, blaffte ich. »Nicht den leisesten Schimmer.«
    Das hätte halb neckisch, halb geheimnisvoll herauskommen sollen, als sei damit ein Bereich menschlicher Erfahrungen gemeint, zu dem einer wie er keinen Zugang hatte, klang aber eher
gekränkt und hysterisch.
    Ein weniger versierter Leser der menschlichen Seele hätte mein beharrliches Leugnen so gedeutet, dass da jemand Hals über Kopf Deckung suchte, um in der Sache mit Chiara nichts zugeben
zu müssen.
    Ein versierterer Beobachter hingegen hätte es als Auftakt zu einer ganz anderen Wahrheit gesehen: Wenn du diese Tür aufstößt, tust du es auf eigene Gefahr hin, glaub mir, du
willst das gar nicht hören. Bitte geh, solange noch Zeit ist.
    Sollte er aber auch nur andeutungsweise zu erkennen geben, dass er die Wahrheit ahnte, würde ich alles tun, um ihn sofort in die Irre zu führen. Falls er jedoch ahnungslos war,
würde er aufgrund meines ziellosen Geplappers ebenso im Dunkeln tappen. Letztlich war mir wohler, wenn er glaubte, ich hätte es auf Chiara abgesehen, als wenn er sich noch weiter in das
Thema verbissen und mich in die Enge getrieben hätte. Sprachlos hätte ich Dinge gestanden, die ich für mich nicht vorausgeplant hatte oder von denen ich nicht einmal wusste, dass ich
sie hätte gestehen können. Sprachlos wäre ich viel schneller dahin gelangt, wohin es meinen Körper drängte, als mit jener Stunden zuvor zurechtgebastelten Sentenz. Ich
wäre rot geworden, und weil ich rot geworden wäre, hätte ich mich verplappert und die Fassung verloren – und wie stünde ich dann da? Was würde er sagen?
    Lieber jetzt zusammenbrechen, dachte ich, als noch einen weiteren Tag mit meinen unglaubhaften Vorsätzen des Versuch’s ein andermal zu jonglieren.
    Nein, es war am besten, wenn er es nie erfuhr. Damit konnte ich leben. Für jetzt und alle Zeit. Ich wunderte mich nicht einmal darüber, wie leicht es mir fiel, mich zu fügen.
    Und doch gab es unvermutet immer wieder liebevolle Momente – so überraschend, dass mir das, was ich ihm so gern gesagt hätte, beinah herausrutschte.
Grüne-Badehosen-Momente, nannte ich sie auch dann noch, als meine Farbtheorie sich als völlig falsch erwiesen hatte und ich mich nicht darauf verlassen konnte, an »blauen«
Tagen Freundlichkeiten zu erwarten oder mich an »roten« Tagen in Acht nehmen zu müssen.
    Musik war ein ungefährliches Thema, besonders wenn ich am Klavier saß. Oder wenn er mich bat, etwas à la Sound-So zu spielen. Er liebte es, wenn ich zwei, drei oder gar vier
Komponisten in einem Stück zusammenführte und das dann transkribierte. Einmal summte Chiara einen Schlager aus der Hitparade, und weil es ein windiger Tag war und niemand an den Strand
oder auch

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