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Ruf mich bei Deinem Namen

Ruf mich bei Deinem Namen

Titel: Ruf mich bei Deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Aciman
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an der Balustrade mit Blick auf die Steilküste, kniff die Augen zusammen und spähte in die Ferne, bis ich sie schließlich entdeckte, wie sie nebeneinander in der Sonne lagen
und wahrscheinlich knutschten, wie sie hin und wieder einen Oberschenkel auf seinen legte und er es bei ihr genauso machte. Dass sie ihre Badesachen anbehalten hatten, war ein gewisser Trost, aber
als ich sie abends beim Tanzen sah, ahnte ich, dass dies nicht die Bewegungen von Menschen waren, die es beim Petting belassen würden.
    Dabei sah ich sie gern miteinander tanzen. Vielleicht begriff ich, wenn ich Oliver so tanzen sah, dass er jetzt nicht mehr frei war, dass ich mir keine Hoffnungen mehr zu machen brauchte. Und
das war gut so. Es würde mir helfen zu genesen. Vielleicht waren diese Gedanken ein Zeichen dafür, dass die Genesung schon eingesetzt hatte. Ich hatte die verbotene Zone gestreift und war
mit einigermaßen heiler Haut davongekommen.
    Aber als ich ihn am nächsten Morgen an unserem Stammplatz im Garten sah und spürte, dass mein Herz einen Sprung tat, wusste ich, dass den beiden nur das Beste zu wünschen und auf
Genesung zu warten nichts mit dem zu schaffen hatte, was ich nach wie vor von ihm ersehnte.
    Ob auch sein Herz einen Sprung tat, wenn er mich in ein Zimmer kommen sah?
    Wohl kaum.
    Ignorierte er mich so, wie ich ihn an jenem Morgen ignorierte – absichtlich, um mich aus der Deckung zu locken, um sich zu schützen, um zu zeigen, dass ich ihm nichts bedeutete?
Oder merkte er gar nichts davon, so wie manchmal die scharfsichtigsten Menschen nicht die offenkundigsten Winke erkennen, weil sie einfach nicht hinsehen, keinen Kitzel, kein Interesse
verspüren?
    Ich hatte gesehen, wie Chiara beim Tanzen ihren Schenkel zwischen seine Beine schob. Und ich hatte sie im Sand miteinander zum Spaß ringen sehen. Wann hatte es angefangen? Und warum hatte
ich den Anfang nicht mitbekommen? Und warum hatte mir niemand etwas gesagt? Warum konnte ich nicht präzise den Augenblick festlegen, in dem sie den Schritt von x nach y getan hatten? Die
Zeichen waren doch deutlich genug gewesen. Warum hatte ich sie nicht erkannt?
    Ich dachte nur noch an das, was sie miteinander treiben mochten. Ich hätte alles getan, um ihnen jede Chance zum Zusammensein zu vermasseln, hätte den einen beim anderen
angeschwärzt, um dann die Reaktion dem anderen zu hinterbringen. Aber ich wollte auch Zuschauer, wollte Zeuge sein, wollte, dass sie mir dankbar waren und mich zu ihrem unverzichtbaren
Komplizen machten, ihrem Mittelsmann, dem Bauern, der für König und Königin so wichtig geworden ist, dass jetzt er es ist, der das Schachbrett beherrscht.
    Ich fing an, ihm Nettes über sie zu sagen und ihr Nettes über ihn und so zu tun, als ahnte ich nicht, wie es zwischen ihnen stand. Er fand mich albern, sie sagte, sie könne schon
für sich selbst sorgen, besten Dank.
    »Willst du uns etwa verkuppeln?«, fragte sie mit klirrendem Hohn in der Stimme.
    »Was interessiert dich das überhaupt?«, fragte er.
    Ich beschrieb ihm ihren nackten Körper, wie ich ihn vor zwei Jahren gesehen hatte. Ich wollte, dass er heiß wurde, einerlei, worauf er tatsächlich aus war. Und wenn ich mit
Chiara sprach, beschrieb ich ihr Oliver, weil ich wissen wollte, ob sie das in der gleichen Art und Weise erregte wie mich, weil ich versuchen wollte herauszubekommen, welche
Empfindung – die ihre oder die meine – die Blaupause war und welches das Original.
    »Du willst sie mir wohl unbedingt einreden!«
    »Wäre das schlimm?«
    »Das nicht. Nur mache ich so was lieber allein, wenn du nichts dagegen hast.«
    Erst nach und nach ging mir auf, worauf ich eigentlich aus war. Ich wollte ein deftiges Männergespräch über sie führen. Wollte ihn in meinem Beisein aufgeilen oder mich bei
ihm unentbehrlich machen, indem ich ihn drängte, sich hinter Chiaras Rücken über sie zu äußern. Durch sie würden wir einander näher kommen, die Kluft
überbrücken, die sich zwischen uns aufgetan hatte, weil wir uns zu derselben Frau hingezogen fühlten.
    Vielleicht wollte ich ihm aber auch nur zeigen, dass ich Mädchen mochte.
    »Das ist sehr nett von dir, und ich weiß es zu schätzen – aber bitte lass es.«
    Das war deutlich: Er war nicht bereit mitzuspielen und wies mich in die Schranken.
    Er ist eben eher der edle Typ, dachte ich, nicht heimtückisch, finster und niederträchtig wie ich – was meinen Jammer und meine Scham noch um einige Grade verstärkte.
Nicht genug

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