Ruge Eugen
behalten, damit die Linke für die Berührung mit dem Katzenhai sauber blieb – als er feststellte, dass der Wintergarten verschlossen war. An der Schiebetür klebte, wie ein Siegel über die Ritze zwischen den Flügeln hinweg, ein Zettel: Nicht betreten! Markus lugte durch die Glasscheibe. Es war alles, wie er es in Erinnerung hatte, dort die Kobrahaut und die Säge, der Katzenhai zwischen den Blättern des Gummibaums, nur der kleine Springbrunnen war außer Betrieb, und wenn man sich ganz herüberlehnte, sah man, dass das Parkett vor der Tür, die auf die Terrasse hinausführte, von einem Wasserschaden aufgequollen war, ja dass sogar Bretter fehlten. Schade, dachte Markus, nicht um den Fußboden, sondern um die schönen Sachen, die ihm plötzlich ziemlich vernachlässigt und verwaist vorkamen – und er fragte sich, einmal auf den Gedanken gebracht, ob er die Kobrahaut und die Sägerochensäge und den Katzenhai nicht auch erben könnte, doch wahrscheinlich war, wenn die Urgroßmutter starb, erst einmal Opa Kurt dran, und wenn Opa Kurt starb, sein Vater – eine lange, zu lange Folge, und die einzige Hoffnung bestand wohl darin, dies oder jenes vorzeitig geschenkt zu bekommen: Vielleicht war mit seinem Vater ja zu verhandeln? Wo blieb der eigentlich? Markus schaute sich um, aber natürlich war sein Vater nicht da. Immer wenn man ihn brauchte, war er nicht da: jetzt, zum Beispiel, um die durchgeknallte Urgroßmutter zu fragen, ob man mal in den Wintergarten durfte. Zum Kotzen, einen Vater zu haben, der nie da war. Andere Väter waren da, nur er, Markus Umnitzer, hatte so einen Scheißvater, der immer nicht da war. Der Arsch.
Er ging zurück zum kalten Buffet, holte sich noch ein Würstchen. Muddel saß drüben im anderen Zimmer neben Opa Kurt, und da sie es nicht unbedingt gern sah, wenn er Würstchen aß, drückte er sich noch ein bisschen im «Buffet-Zimmer» herum, betrachtete gelangweilt die überall herumstehende und herumhängende Indianerkunst, von der die Urgroßmutter immer schwärmte, und schaute, als es wieder klingelte, unauffällig nach, ob sein Vater endlich gekommen war. Und als er sein Würstchen aufgegessen hatte und der Arsch noch immer nicht gekommen war, entschloss er sich, die Urgroßmutter selbst zu fragen, ob ausnahmsweise eine Besichtigung des Wintergartens möglich war – aber als er sich die Finger an der Hose abgewischt hatte und sich nach seiner Urgroßmutter umsah, wurde es im anderen Zimmer plötzlich still, und einen Augenblick später war eine Stimme zu hören, eine leise, hohe Singstimme, fast zu hoch für einen Mann und fast zu rein für ein so gut wie ausgestorbenes Exemplar, doch die Stimme gehörte tatsächlich Wilhelm, der in seiner dunklen Ecke saß, mit geschlossenen Augen, und sang , einfach so vor sich hin sang, irgendeinen gerade ausgedachten Blödsinnstext, konnte man glauben: war es aber nicht, sondern irgendwas mit Lenin und Stalin, jemand versuchte sogar mitzusingen, konnte aber den Text nicht richtig, und Wilhelm sang allein zu Ende, solo, der Pterodactylus, kaum mehr als ein Haufen Knochen, den Orden an der Brust wie ein Olympiasieger.
Wieder klatschten alle. Wilhelm winkte ab, doch es half nichts, die Leute klatschten, als wäre das sonst wie toll gewesen. Nur die Urgroßmutter zog ein Gesicht: Wilhelm war ihr peinlich, man sah es, und Markus überlegte noch, ob es der richtige Moment war, sie nach dem Wintergarten zu fragen, als – kaum zu glauben – der Nächste anfing zu singen. Besser gesagt die Nächste. Baba Nadja war es, die sich plötzlich im Takt hin und her zu wiegen begann und mit tiefer, rauer Stimme russische Laute hervorbrachte, welche sofort die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zogen, Psst-psst, hieß es, sogar Urgroßmutter wurde niedergepsst, man warf Baba Nadja aufmunternde Blicke zu, schon fingen die ersten Köpfe an, sich im Takt zu wiegen, und nachdem Baba Nadja zum zweiten oder dritten Mal bei einer Art Refrain angekommen war, in dem das wohl einzige Wort vorkam, was alle verstanden, nämlich Wodka, Wodka , fingen die Ersten an mitzusingen, immer an der Stelle Wodka, Wodka , während Baba Nadja ernst und stur eine Strophe nach der anderen ableierte, bis schließlich alle, am lautesten der Dicke mit dem Pavianarschgesicht, mitbrüllten: Wodka, Wodka , und sogar in die Hände klatschten bei Wodka, Wodka . Unglaublich, was hier abging. Die Saurier-Party. Da verpasste sein Vater was, dachte Markus und schaute sich um, ob er nicht doch
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