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Ruge Eugen

Ruge Eugen

Titel: Ruge Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: In Zeiten des abnehmenden Lichts
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an Baustellen, an kaputten Motorrädern, kaputten Fahrrädern, kaputten Leitungen: Eigentlich ist alles kaputt.
    An einem Stand kauft er ein Taco oder eine Tortilla oder was das auch ist, obwohl er inzwischen im Backpacker gelesen hat, dass man an Straßenständen nichts essen soll. Er isst trotzdem, aber das Taco oder die Tortilla oder was das auch ist schmeckt auf einmal verdächtig. Er wirft es weg, nachdem er noch nicht mal die Hälfte gegessen hat. Er bekommt Durst, betritt ein kleines Restaurant im McDonald’s-Stil und bestellt einen Burger und eine Cola. Die Tische sind aus Plastik, alle kaputt, angeschlagen, mit Rissen. Ein Spielautomat jodelt. Zwei Jugendliche kommen herein, mit Kapuzen und hängenden Jeans. Seltsam, denkt er, während er seinen Burger kaut, dass die Jugendlichen überall auf der Welt gleich aussehen – jedenfalls eine bestimmte Sorte Jugendlicher. Die beiden kaufen etwas, gehen wieder. Alexander schaut ihnen nach, wie sie über die Straße schlenzen, raumgreifend, großkotzig.
     
    Drei Kilometer weiter biegt Alexander links ab, dann nochmal links und rechts, dann ist er am Ziel: die Tapachula . Eine schmale, baumlose Straße. Anstelle von Bäumen: Straßenlaternen und Masten, zwischen denen sich ein spinnenartiges Netz von Kabeln ausbreitet. Nummer 56 A: ein kaum vier Meter breites, zweistöckiges Haus, er erkennt die Zinnen der Dachgartenbrüstung, von dort oben hat seine Großmutter heruntergeschaut, aber auf dem Foto, obwohl es schwarzweiß war, hat das alles irgendwie grün ausgesehen. Irgendwie tropisch und großzügig.
    Vorsichtig schaut er durch das vergitterte Fenster im Erdgeschoss. Kisten stehen dort, anscheinend ein Lager. Er klingelt, niemand macht auf. Er wechselt die Straßenseite, betrachtet das Haus. Versucht, etwas zu empfinden. Wie empfindet man die einstmalige Anwesenheit einer Großmutter?
    Das Einzige, was er empfindet: dass seine Fußsohlen schmerzen. Sein Rücken. Seine während des Krankenhausaufenthalts merklich erschlaffte Beinmuskulatur.
    An der Ecke winkt er ein grün-weißes Käfer-Taxi heran, obwohl er im Backpacker gelesen hat, dass man keine Taxis auf der Straße heranwinken soll. Der Fahrer ist freundlich und trägt ein sauberes weißes Hemd. Ein Taxameter ist auch da.
    Der Fahrer biegt rechts in die Insurgentes ein, Richtung Norden, vollkommen korrekt. Der Verkehr ist zähflüssig, das Taxameter rasselt. Dann biegt der Fahrer auf einmal links ab, obwohl das Zentrum eher rechts liegt. Vermutlich, so beruhigt sich Alexander, will er den Verkehr auf der Insurgentes umfahren. Aber anstatt die nächste größere Parallelstraße zu nehmen, fährt der Fahrer weiter einen unübersichtlichen Zickzackkurs, der vom Ziel wegzuführen scheint.
    – Adonde vamos, fragt Alexander.
    Der Fahrer antwortet irgendetwas, gestikuliert. Lächelt in den Rückspiegel.
    – Stopp, sagt Alexander.
    – No problem, sagt der Fahrer in einer Art Englisch. No problem!
    Hält aber nicht.
    Hält drei Minuten später in einer verlassenen Gasse: Mauern, Wellblechdächer, Verfall. Der Fahrer hupt kurz, bedeutet Alexander wort- und gestenreich, im Auto sitzen zu bleiben, und verschwindet.
    Alexander wartet ein paar Sekunden ab, steigt aus. Aber kaum dass er sich, aus der niedrigen Autotür windend, aufrichtet, steht er zwei Gestalten gegenüber. Auf den ersten Blick, mit ihren Kapuzen, ihren weiten Jeans, sehen sie aus wie die beiden Typen aus dem Burgerrestaurant, aber dann sieht er, dass sie jünger sind. Kaum älter als sechzehn, schlaksig, dünn. Einer, der Größere von beiden, trägt einen flaumigen Oberlippenbart und hält in der Hand ein schönes, verziertes Messer. Der andere, kleiner, mit intelligenten, flink umherhuschenden Augen, zeigt auf das Taxi und fragt Alexander etwas.
    Alexander versteht nicht, versteht aber doch: Ob er nicht das Taxi bezahlen wolle, so etwa. Blöder Trick. Laut sagt er, auf Deutsch:
    – Ich verstehe nichts.
    – Dinero, Peso, Dollar, sagt der Kleine.
    Alexander holt die Brieftasche heraus, entschlossen, dem Jungen nicht mehr zu geben, als das Taxameter anzeigt. Aber ehe er sichs versieht, hat der Kleine ihm die Brieftasche entrissen und prüft in sicherem Abstand den Inhalt. Unwillkürlich macht Alexander einen Schritt auf den Kleinen zu. Der Oberlippenbart hebt das Messer, fuchtelt hektisch damit herum. Der Kleine nimmt das Geld heraus, es sind dreihundert Dollar und ein paar hundert Pesos, und wirft Alexander die Brieftasche zu. Sekunden später sind

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