Ruge Eugen
geraumer Zeit um die Verbesserung der Beziehungen, und es kränkte sie, dass Kurt dies nicht einmal bemerkte. Nie erlaubte sie sich ein kritisches Wort über Irina: über ihre Allüren, ihre Verschwendungssucht, im Gegenteil, sie gab noch Geld für Irinas Hausbauprojekt, obwohl sie es, wenn sie ehrlich war, in jeder Beziehung maßlos fand. Jetzt brauchte Irina noch ein Auto … Aber Leistung gleich null. Kurt ackerte, Kurt hatte promoviert, hatte sein erstes Buch geschrieben, ein großartiges Buch – während Irina noch immer nicht ihre Ausbildung als Dokumentaristin beendet hatte. Wie auch, wenn sie nicht einmal richtig Deutsch sprach.
Das alles sagte Charlotte nicht. Stattdessen fragte sie:
– Hast du eigentlich schon das ND gelesen?
– Ja, sagte Kurt, ich habe deinen Artikel gelesen.
Dann stiegen Irina und Alexander wieder ins Auto, Alexander im Pulli, und Charlotte versuchte es noch einmal:
– Als ich so alt war wie du …
Und wieder ging die Kaffeemühle los, ein Kuriosum, dieses Auto, in dem man sich nicht einmal unterhalten konnte. Auf dem Rücksitz wurde man hin und her geworfen. Zudem fuhr Irina beängstigend schnell, donnerte über die Kreuzungen, ohne nach links oder rechts zu schauen.
– Muss man nicht Vorfahrt beachten, fragte Charlotte höflich.
Niemand antwortete, vielleicht wussten sie nicht, an wen von beiden die Frage gerichtet war, oder sie hatten die Frage überhört bei dem Lärm. Charlotte ließ es dabei bewenden.
Sie fuhren zum Park Sanssouci, dann hieß es aussteigen. Aber Alexander sagte:
– Ich will aber noch Auto fahren!
– Nachher fahren wir ja wieder zurück, sagte Kurt.
Doch das Kind war nicht umzustimmen: Auto fahren!
Irina sagte:
– Na, dann farren wir nach Cecilienhof.
– Das ist zu kurz, entschied Alexander. Ihr habt gesagt Autotour!
Unglaublich, was hier vorging. Tatsächlich wurde in Erwägung gezogen, die Tour bis Bornim oder Neufahrland auszudehnen. Am Ende einigte man sich doch auf Cecilienhof, allerdings mit Umwegen. Alexander war zufrieden.
– Unser Auto hat einen Reservetank, teilte er mit.
Charlotte nickte.
Endlich Cecilienhof. Einparkmanöver – als handle es sich um ein Schiff. Kurt half ihr heraus, die reinste Kletterpartie, dann fragte er:
– Und? Wie findest du unser Auto?
– Großartig, sagte Charlotte.
Alexander wischte mit dem Ärmel einen Vogeldreck von der Karosserie. Charlotte enthielt sich jeder Bemerkung. Mehrmals drehte Alexander sich noch nach dem Auto um, und Charlotte wartete, bis sie außer Reichweite waren.
– Als ich so alt war wie du, begann sie zum dritten Mal, da musste ich jeden Sonntag mit meiner Mutter in den Tiergarten gehen, weil meine Mutter den Spleen hatte, dem Kaiser, der dort manchmal spazieren ging, ihre Aufwartung zu machen.
Alexander bekam große Augen.
– Dem Kaiser?
– Genau, sagte Charlotte, Kaiser Wilhelm. Und dann warteten wir manchmal stundenlang, kommt heute der Kaiser, kommt er nicht, und immer musste ich ein weißes Wollkleid tragen, das fürchterlich kratzte. Ein richtiges Kratzekleid, sagte Charlotte – und prüfte die Wirkung ihrer Worte in Alexanders Gesicht.
Es gab keine. Stattdessen fragte Alexander:
– Und kam dann der Kaiser?
Irina sagte:
– Jetzt hör auf, Mutti. Wenn dir etwas Schlechtes im Leben passiert, musst du nicht wünschen, dass es anderen auch passiert.
– Und kam dann der Kaiser, wollte Alexander wissen.
– Ja, sagte Charlotte, dann kam der Kaiser. Und ich habe ihn gehasst.
An der Badestelle am Ende des Heiligen Sees gingen Irina und Alexander Schwäne füttern, Charlotte setzte sich mit Kurt auf eine Bank. Es ging ein angenehmer, leichter Wind. Man hörte das Schilf rascheln.
– Nun, wie fandest du meinen Artikel, fragte Charlotte und setzte hinzu: Aber sei nicht so streng mit mir!
Sie merkte, dass Kurt herumdruckste.
– Na los, heraus mit der Sprache. Du fandest ihn also nicht gut?
– Ich verstehe dich nicht, sagte Kurt. Wieso du dich an so was beteiligst.
– Wieso denn beteiligst? An was denn?
Kurt schaute sie an. Auf einmal sah sie, dass er sie nur mit einem Auge ansah, und für einen Moment empfand sie so etwas wie Schuld – als sei sie, als Mutter, verantwortlich dafür.
– Mutti, hier geht es doch um eine politische Kampagne, sagte Kurt. Hier versuchen Leute, einen härteren Kurs durchzusetzen.
– Aber das Buch ist schlecht, wandte Charlotte ein.
– Dann lies es nicht.
Kurt plötzlich ungewohnt schroff.
– Nein, Kurt, so geht
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