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Ruge Eugen

Ruge Eugen

Titel: Ruge Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: In Zeiten des abnehmenden Lichts
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Ljuba und Vera, irgendwo lagen sie, zwischen Gríschkin Nagár und Tartársk, und sie saß hier noch immer, in diesem Deutschland, bekam sogar eine Pension, dreihundertdreißig im Monat, zuerst hatte sie noch für die Beerdigung gespart, hatte immer befürchtet, sie könnte sterben, bevor es für ihre Beerdigung reichte, und wer weiß, dann wurde sie womöglich verbrannt, so etwas taten die hier, aber inzwischen reichte es drei Mal, und sie war immer noch da, stopfte noch immer ihre Rente ins Kopfkissen, hundert hatte sie immer gleich Sascha gegeben, Ira nahm ja kein Geld, hatte es nicht nötig, verstehst du, hochmütig, wie sie nun einmal war, das ärgerte Nadjeshda Iwanowna.
    Jetzt klopfte es an der Tür, Kurt war’s, ob sie denn mitkam nachher, zu Wilhelms Geburtstag. Herrje, heute morgen hatte sie noch dran gedacht, aber dann hatte der alte Kopf es vergessen, aber zugeben wollte sie’s nicht.
    – Natürlich komm ich mit, sagte sie. Wie denn anders.
    Nur der Blumenladen am Friedhof hatte längst zu, äch ty, rastjopa, was nun, eine Schachtel Pralinen hatte sie noch, hoffentlich nicht von Charlotte und Wilhelm, die schenkten ihr immer Pralinen, obwohl sie gar keine aß, aber schaden tat’s nix, hatte sie was anzubieten, wenn Sascha mit seiner Freundin kam, Kalinka oder wie, seine Neue, ob die mit nach Amerika war oder in Deutschland geblieben? Schlecht war sie nicht gewesen, die Arme ein bisschen zu dürr, zum Arbeiten taugte sie nicht, aber arbeiten arbeitete sie auch nicht, sondern war Schauspielerin, Dünne brauchte man schließlich auch im Film, oder sie schenkte Wilhelm die Gurken, gute Gurken, uralische Art, mit Knoblauch und Dill, Sascha war immer ganz wild gewesen auf ihre Gurken, allerdings, ob’s zum Geburtstag das Richtige war, sie würde Kurt fragen, immerhin neunzig, das war schon was, und dabei sah er noch gut aus, Wilhelm, beinahe wie achtzig, und immer im Anzug, wie ein Minister sah er aus und sprach auch so, mit Bedeutung, merkte man gleich, dass er rumgekommen war in der Welt, mit dem Schiff waren sie über das Meer, Gott bewahre, einmal hatte sie es gesehen, das Meer, bis zum Himmel nur Wasser, das glaubte ihr keiner in Slawa, und ganz oben, ganz auf dem Rand, krochen winzige Schiffe entlang wie auf dem Dachfirst, schreckliche Vorstellung, da war ihr die Eisenbahn lieber, wenigstens war man auf Gottes Erde, und wenn’s erst mal fuhr, dann war es gar nicht so schlimm, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hatte, sogar schlafen schlief sie am Ende und wachte dann auf und war plötzlich in Deutschland und wusste nicht mal, wie weit es eigentlich war, Sascha hatte es ihr einmal zeigen wollen auf einer Karte, als ob man’s ersehen konnte auf einer Karte, wie weit es war, von Tartársk, beispielsweise, bis nach Gríschkin Nagár, das war auf der Karte vier Finger breit, aber in Wirklichkeit waren es vier Jahre, die sie gegangen waren, oder länger, sie wusste es gar nicht mehr, eine Ewigkeit waren sie gegangen, seit sie denken konnte, ein einziges Gehen. An Tartársk erinnerte sie sich, ehrlich gesagt, gar nicht mehr, wo sie geboren war, der Vater, der nicht vom Flößen zurückgekehrt war, hatte Mutter Marfa gesagt, später hieß es dann plötzlich, er sei im Krieg gefallen, eine einzige Dunkelheit, aus der man kam, und das Erste, was sichtbar wurde, wenn sie zurückdachte, das war der Weg, ein schwaches, ein wackliges Bild: der Weg, der kein Ende nahm, und wenn sie nach unten schaute, sah sie die eigenen, dreckigen Füße, das war das Erste, woran sie sich erinnerte, und an den ewigen Durst und dass die Hand rot war von Blut, wenn man sich an die Stirn schlug, vor lauter Mücken.
    Sie zog das Kleid über, das Gute, lila mit Goldfaden, auch ein bisschen, nun ja, übertrieben in ihrem Alter, in Slawa konnte man so was nicht anziehen, aber hier trugen die Leute ja alles Mögliche, sogar die Alten, wenn sie beim Tanz gewesen war im Klub der Volkso-Dali-Rität , einmal im Jahr, Eintritt frei, da war sie gern hingegangen, als die Füße noch gingen, auch wenn sie die Tänze nicht kannte, die vorgeschriebenen, hatte einfach getanzt wie zu Hause, uralisch, Likörchen dazu, und dann tanzten sie auf einmal alle uralisch, mehr oder weniger, jetzt musste sie nur noch in ihre Schuhe reinkommen, gute Schuhe, hatte Ira ihr besorgt, aber bezahlt hat’s der Staat, das glaubte ihr auch keiner in Slawa, solche Schuhe, gute, lederne Schuhe, als Kind hatte sie immer Ausschau gehalten nach solchen Schuhen, wenn

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