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Ruge Eugen

Ruge Eugen

Titel: Ruge Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: In Zeiten des abnehmenden Lichts
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zur Hand, das sie irgendwann heute morgen auf dem Kopfkissen abgelegt hatte, die Socken für Sascha, dann kriegte sie eben Kurt, eine Socke war schließlich schon fertig, bei der anderen arbeitete sie sich gerade an die Ferse heran, von Socken verstand sie was, hatte schon viele Socken gestrickt, die ersten so groß wie Eierwärmer, dreißig Jahre war das nun her, aber noch heute hatte sie den Geruch seiner Nackenhaare in der Nase, wenn sie daran dachte, wie er auf ihrem Schoß gesessen hatte, und sie hatten Maltschik-Paltschik gespielt, stundenlang, oder sie hatte ihm etwas vorgesungen, das Lied vom Zicklein, das nicht auf die Großmutter hören wollte, das wollte er immer hören, wieder und wieder, wird es vergessen haben, der Junge, obwohl er’s schon beinahe auswendig konnte mit seinen zwei Jahren, aber immer: Waruhum, waruhum, nur Hörnlein und Hufen, vergeblich gerufen, nur Hörnlein und Hufen, na, macht nichts, vielleicht schrieb er ja mal eine Postkarte, obwohl er wahrscheinlich Wichtigeres zu tun hatte dort, musste sich erst mal an alles gewöhnen, Amerika, sie kannte es ja aus dem Fernsehen, das andere Programm, zweimal schalten, sie guckte, ehrlich gesagt, meistens das andere Programm, Breschnew hatte sie genug geguckt, war irgendwie doch interessanter, Amerika, auch wenn man sich manchmal nicht hinzuschauen getraute, was die alles zeigten, wenn er sich bloß nicht versündigte, dachte Nadjeshda Iwanowna, oder war, was im Fernsehen kam, bloß Fernsehen, und am Ende war’s auch nicht viel anders als hier, man konnte ja rübergucken beinahe, oder war das noch Deutschland, was man da sah, übern See, oder war Deutschland Amerika, also ein Teil davon, also der Teil von Deutschland, der ein Teil von Amerika war, zum Verrücktwerden das Durcheinander, und wozu, wenn’s am Ende das Gleiche war, wie Ira behauptete, nur dass man dort alles kaufen konnte, hatte Ira gesagt, in dem anderen Deutschland, das Amerika war, aber verstehen verstand sie es nicht: An dem Platz, wo der O-Bus ankam, dort wo Sascha zur Schule gegangen war, da konnte man auch alles kaufen, nicht einmal rationiert, so viel du tragen kannst, Milch konntest du kaufen – in Tüten, das glaubte ihr keiner in Slawa, nur, ehrlich gesagt, ob’s an den Tüten lag oder weil sie staatlich waren, die Kühe, und mit der Maschine gemolken wurden, jedenfalls dick wurde sie nicht, die Milch, wenn man sie stehen ließ, verdarb einfach nur, die Milch von den staatlichen Kühen, war eben doch was anderes, die eigene Kuh im Stall, Dickmilch mit Zucker, das hatte er gern gemocht, Quark hatte man auch, und Butter hatte man, alles hatte man, was man brauchte.
    Für die Ferse musste sie die Maschenzahl in drei Teile teilen, aber sie zählte nie nach, das machte sich irgendwie immer von selbst, dann die Maschen verschränken, und dann ging’s geradeaus, immer die Nadel lang, Kurt hatte die gleiche Größe, nur dass er die Socken nie trug, ehrlich gesagt, bedankte sich immer höflich, wenn sie ihm Socken schenkte, das ja, aber was soll man machen, die Hände wollten irgendwas tun, im Frühjahr war wieder der Garten dran, wenn sie’s erlebte, aber die Zeit bis dahin musste man ja auch irgendwie rumkriegen, immer nur fernsehen, man wurde ja dumm im Kopf, manchmal las sie das Buch, das Kurt ihr gegeben hatte, lesen konnte sie schließlich, hatte sich ja alphabetisiert, als sie nach Slawa kamen, wo die Sowjetischen waren, nur dass es zu dick war, das Buch, Krieg und Frieden , wenn man in der Mitte angekommen war, hatte man den Anfang schon wieder vergessen, über die Heumahd ging’s, daran erinnerte sie sich, schwere Arbeit, sie hatte genug Heu gemäht in ihrem Leben, nach Feierabend, wenn sie vom Sägewerk kam, im August war die Heumahd, im September kamen dann die Kartoffeln dran, so war das gewesen in Slawa. Jetzt hatte sie nur noch die Gurken, aber die machten sich praktisch von selbst, nur gießen musste man sie hin und wieder, Schlauch aufdrehen und fertig, so leicht war das Leben in Deutschland, das glaubte ihr keiner in Slawa, leicht war es, aber andererseits immer so vor sich hin, und Ira meckerte auch bloß, manchmal fragte man sich, ob es ein Fehler gewesen war, das Haus aufzugeben in Slawa, aber was soll man machen, die alten Knochen, wenn man nicht einmal mehr die Leiter hochkommt zum Windbretterölen, nein, sie beklagte sich nicht, aber irgendwie reichte es langsam, immerhin achtundsiebzig war sie, ihre Schwestern hatten nicht mal die zwanzig erreicht,

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