Ruge Eugen
was, Märkische Volksstimme .
Aber Lisbeth war sowieso zu tumb. Sollte sie ruhig die Märkische Volksstimme lesen.
Dann wieder Wilhelm, den weißen Porzellanadler in der Hand, den der Vorbesitzer des Hauses bei seiner Flucht hinterlassen hatte.
Charlotte verdrehte die Augen:
– Wer soll denn das kaufen?
– Nicht kaufen! Weißt du nicht, was eine Tombola ist?
Lisbeth fragte:
– Frau Powileit, soll ick Kartoffelbrei machen oder Kartoffelmus?
Charlotte zählte bis fünf, um Lisbeth nicht anzuschreien, dann sagte sie:
– Das ist mir schnurzpiepegal, Lisbeth.
Um drei Uhr klingelte Kurt, pünktlich wie immer. Charlotte hatte nach dem Mittag geschlafen, hatte das graue Kostüm angelegt und, zur Feier des Tages, einen dezenten mexikanischen Halsschmuck.
Alexander wartete am Auto, Irina ebenfalls – geschminkt wie ein Papagei, aber das war natürlich ihre Sache.
– Mein Schatz, sagte sie zu Irina. Mein Spätzchen, zu Alexander. Zu Kurt sagte sie: Kurt.
Das Auto war blau, winzig klein: ein Trabant. Man bestaunte es zunächst von allen Seiten. Auch Wilhelm kam jetzt heraus.
– Kein Wort zu Wilhelm, raunte Charlotte Kurt zu.
Selbstverständlich wusste Wilhelm nichts davon, dass sie Kurt fünftausend Mark für das Auto geliehen hatte. Zu Wilhelm sagte sie:
– Nanu, willst du mitfahren?
– Ach was, sagte Wilhelm, für so was hab ich keine Zeit.
– Das Auto hat sowieso nur vier Plätze, sagte Kurt.
Alexander sagte:
– Mein Anzug kratzt.
Wilhelm klopfte gegen die Kunststoffkarosserie und erklärte:
– In Zukunft wird man alle Autos aus Plaste bauen.
– Und wie kommt man dahinten rein, wollte Charlotte wissen.
Das Auto besaß nur zwei Türen.
– Du kannst vorn sitzen, sagte Kurt.
Aber Charlotte wehrte ab (nicht zuletzt aus Sicherheitsbedenken, immerhin war Kurt Anfänger), und Kurt klappte einen Sitz um, sodass Charlotte – allerdings auf allen vieren – in den Fond des kleinen Gefährts kriechen konnte. Seltsame Idee, die Türen einzusparen.
Am meisten überraschte sie, dass Kurt auf dem Beifahrersitz Platz nahm, während Irina sich ans Steuer setzte.
– Wer fährt denn?
Beide drehten sich erstaunt um.
– Ich fahre, sagte Irina.
Genauer gesagt: Ich farre. Denn auch nach fünf Jahren in Deutschland sprach Irina noch gebrochen Deutsch. Ein Rätsel, wie sie die Fahrprüfung bestanden hatte.
– Mein Anzug kratzt, sagte Alexander.
Es war der Anzug, den Charlotte ihm zu Weihnachten geschenkt hatte.
– Wie kann denn der Anzug kratzen, wollte Charlotte wissen.
– Am Hals, sagte Alexander.
– Aber am Hals trägst du doch ein Hemd, wandte Charlotte ein.
– Kratzt aber trotzdem.
– Gut, sagte Irina, dann farren wir noch zu Hause vorbei, und du ziehst an was anderes.
Ein bisschen ärgerlich, dass das Kind dermaßen verhätschelt wurde. Ein intelligenter, aufgeschlossener Junge, aber so wie er erzogen wurde, war sein Unglück vorhersehbar.
– Als ich so alt war wie du, begann Charlotte und wollte Alexander von dem kratzenden weißen Wollkleid erzählen, das sie stets hatte tragen müssen, wenn ihre Mutter sonntags mit ihr in den Tiergarten ging, aber in diesem Augenblick ging der Motor los, und das ganze Gefährt rasselte wie eine Kaffeemühle.
Irina hielt am Fuchsbau. Das Haus war von Baugerüsten umstellt. Auch für die Sanierung des Hauses hatte Kurt sich bei Charlotte eine größere Summe geliehen.
– Dann ist das Auto also eigentlich mehr für Irina, erkundigte sich Charlotte, nachdem Irina und Alexander ausgestiegen waren.
– Mutti, ich kann nicht Auto fahren, du weißt doch, dass ich bloß auf einem Auge sehe.
Charlotte schwieg. In der Tat, daran hatte sie nicht gedacht. Andererseits: Wozu brauchte Irina ein Auto?
– Außerdem zahl ich dir das Geld ja zurück, sagte Kurt. Ich zahl dir monatlich zweihundert Mark, und wenn ich die Gehaltserhöhung bekomme, dreihundert.
– Darauf läuft es hinaus, sagte Charlotte und verkniff sich, ja, sie verkniff sich , hinzuzusetzen: Du zahlst und Irina fährt.
Trotzdem sagte Kurt:
– Mutti, ich weiß nicht, warum du so feindselig bist.
– Ich bin nicht feindselig.
– Ich finde, sagte Kurt, wir sollten die Tatsache, dass wir jetzt getrennt wohnen, zum Anlass nehmen, ein neues Kapitel in unseren Beziehungen aufzuschlagen.
– Das finde ich auch, sagte Charlotte.
Sie mochte das Thema nicht ausdehnen. Es schmerzte sie, dass Kurt in dieser Sache so ungerecht war. Als ob es an ihr läge! Sie bemühte sich schon seit
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