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Ruge Eugen

Ruge Eugen

Titel: Ruge Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: In Zeiten des abnehmenden Lichts
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Leguane?
    Er nahm Meyers Lexikon, Band La bis Lu, und blätterte darin bis «legal».
    Dann kam Lisbeth und stellte den Kaffee auf seinen Schreibtisch.
    – Pssst, machte sie.
    – Komm her, sagte Wilhelm.
    Er nahm einen Hundertmarkschein aus seiner Brieftasche.
    – Das ist zu viel, sagte Lisbeth.
    Kam aber trotzdem. Wilhelm zog sie dicht an sich heran und steckte ihr den Hundertmarkschein ins Dekolleté.
    – Du Schlimmer, sagte Lisbeth.
    Ihre Wangen röteten sich, wurden noch dicker. Sie wand sich sanft aus seiner Umarmung, nahm das kleine Tablett, auf dem sie den Kaffee gebracht hatte, und ging.
    – Lisbeth?
    – Ja?
    Sie blieb stehen.
    – Wenn ich mal tot bin, hat sie mich vergiftet.
    – Aber Wilhelm, wie kannst du denn so was sagen.
    – Ich sage, was ich sage, sagte Wilhelm. Und ich will, dass du’s weißt.
    Eine kleine Weile glaubte er noch, den Abdruck ihrer Schwimmbeckenbrüste an seinem Körper zu spüren.
     
    Es klingelte. Wilhelm hörte, wie jemand kam. Dann war nichts zu hören. Grummeln. Dann erschien Schlinger. Mit einem Strauß Nelken.
    – Ich geh gleich wieder, sagte Schlinger, ich wollte der Erste sein.
    Wilhelm studierte gerade das Lexikon. Leguane, so hatte er inzwischen herausbekommen, wurden bis zu zwei Meter zwanzig lang. Wie alt sie wurden, konnte er leider nicht finden.
    – Ich gratuliere dir zum Geburtstag, sagte Schlinger, und wünsche dir, lieber Wilhelm, auch weiterhin viel Schaffenskraft und …
    – Bring das Gemüse zum Friedhof, sagte Wilhelm.
    Schlinger lachte.
    – Immer gut gelaunt, sagte er. Immer einen Scherz auf den Lippen.
    – Und, was hat sie gesagt, fragte Wilhelm.
    – Wer?
    – Charlotte.
    Schlinger machte ein dummes Gesicht. Zog die Mundwinkel herunter, die Brauen hoch. Auf seine Stirn legten sich dicke, wurstige Falten.
    – Ich weiß schon, sagte Wilhelm. Plemplem, der Alte. Übergeschnappt.
    – Aber Wilhelm, du bist doch noch vollkommen …
    – Was?
    – Ich meine, du bist doch für dein Alter vollkommen …
    – Plemplem, sagte Wilhelm.
    – Aber nein, du bist doch geistig vollkommen …
    Schlinger fuchtelte mit den Nelken herum.
    – Ich bin ein bisschen plemplem, sagte Wilhelm. Aber nicht völlig plemplem.
    – Nein, natürlich nicht, sagte Schlinger.
    – Ich merke noch, wo es langgeht.
    – Aber klar, sagte Schlinger.
    – Nämlich bergab.
    Schlinger holte Luft, sagte aber dann doch nichts. Wackelte mit dem Kopf, man wusste nicht, ob er den Kopf schüttelte oder nickte. Dann, plötzlich ernst, mit zusammengekniffenen Augen:
    – Es gibt, offen gestanden, Probleme. Aber wir werden sie lösen.
    – Papperlapapp, sagte Wilhelm.
    Gern hätte er Schlinger erklärt, dass Probleme – solche Probleme – nicht in der Kreisleitung Potsdam gelöst wurden. Gern hätte er ihm erklärt, dass Probleme – solche Probleme – in Moskau gelöst wurden und dass das Problem gerade darin bestand, dass Moskau selbst das Problem war. Aber seine Zunge war zu schwer und sein Kopf zu träge, einen so verzwickten Gedanken in Worte zu fassen. Deswegen sagte er nur:
    – Tschow.
    Schlingers Stirn legte sich in wurstige Falten. Sein Kopf kam zum Stillstand. Seine Augen schauten schräg nach oben an Wilhelm vorbei.
    Plötzlich sah er aus wie ein Leguan.
    – Wie alt werden eigentlich Leguane?
    – Wie bitte?
    – Leguane, sagte Wilhelm. Kennst du keine Leguane?
    – Das ist doch so eine Art Reptil.
    – Ja, sagte Wilhelm, Reptil.
    – Ich denke, sie werden alt, sagte Schlinger. Sein Kopf wackelte, und er machte ein Gesicht, als hätte er etwas Intelligentes gesagt.
     
    Als Schlinger gegangen war, fiel Wilhelm ein, was zu tun war. Er marschierte in den Salon.
    – Ich ziehe den Ausziehtisch aus, sagte Wilhelm.
    Aber Charlotte sagte:
    – Das macht Alexander.
    – Das mache ich selbst, sagte Wilhelm.
    – Das kannst du nicht, sagte Charlotte. Das macht Alexander.
    – Alexander! Seit wann kann Alexander irgendwas ?
    – Diesen Ausziehtisch kann nur Alexander ausziehen, das haben wir doch x-mal probiert.
    – Papperlapapp, sagte Wilhelm.
    Natürlich konnte er den Ausziehtisch ausziehen. Schließlich hatte er Metallarbeiter gelernt. Was hatte Alexander gelernt? Was war der eigentlich? Nichts. Jedenfalls fiel Wilhelm nichts ein, was Alexander sein könnte. Außer unzuverlässig und arrogant. Noch nicht einmal in der Partei war der Kerl. Aber um mit Charlotte zu streiten, war seine Zunge zu schwer und sein Kopf zu träge.
    Wer weiß, was sie ihm für Zeug gab. Auch Stalin hatte man

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