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Ruge Eugen

Ruge Eugen

Titel: Ruge Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: In Zeiten des abnehmenden Lichts
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Gemüseverkäuferin.
    Harry Zenk, Rektor der Akademie: war noch nie zu seinem Geburtstag gekommen.
    Till Ewerts – nach Schlaganfall.
    – Bring das Gemüse zum Friedhof.
    …
    Aha, der Genosse Krüger. Abschnittsbevollmächtigter.
    – In Uniform hätte ich dich erkannt, Genosse. Bring das Gemüse zum Friedhof.
    …
    Die Sondermanns. Deren Sohn im Gefängnis saß: wegen versuchter Republikflucht.
    – Euch kenn ich nicht, sagte Wilhelm.
    – Aber das sind doch Sondermanns, erklärte Charlotte.
    – Euch kenn ich nicht!
    Das Grummeln im Raum wurde für einen Augenblick leiser.
    – Gut, sagte Sondermann. Drückte Charlotte den Blumenstrauß in die Hand und verschwand, zusammen mit seiner Gattin.
    …
    Kurt kam mit Nadjeshda Iwanowna, aber ohne Irina.
    – Irina ist krank, sagte Kurt.
    – Und Alexander?
    – Alexander ist auch krank, mischte Charlotte sich ein.
    Defätistenfamilie. Von Irina mal abgesehen. Und abgesehen, natürlich, von Nadjeshda Iwanowna.
    Nadjeshda Iwanowna überreichte ihm ein Glas Gurken.
    Wilhelm wühlte in seinem Gedächtnis. Zu lang war es her, dass er in Moskau gewesen war, damals zur Ausbildung bei der OMS, und das einzige Wort, das er unter den Trümmern seines Russischs noch auffand, war garosch : gut, hervorragend.
    – Garosch, garosch, sagte er.
    Nadjeshda Iwanowna sagte:
    – Ogurzy.
    Wilhelm nickte.
    – Garosch!
    Er ließ das Glas öffnen (von Mählich – Kurt kriegte es sowieso nicht auf mit seinen Intellektuellenfingern) und aß öffentlich eine russische Gurke. Früher hatte er russische Papirossy geraucht. Jetzt aß er wenigstens eine russische Gurke.
    – Garosch, sagte Wilhelm.
    – Du kleckerst, sagte Charlotte.
    – Papperlapapp.
    …
    Wo blieb eigentlich der Bezirkssekretär?
    …
    Dafür plötzlich ein Kind. Das Kind hatte ein Bild in der Hand.
    – Markus, dein Urenkel, sagte Charlotte.
    Seit wann denn das? Wilhelm beschloss, nicht zu fragen. Er betrachtete das Bild, wie man Bilder betrachtete, die Kinder einem schenkten, und war überrascht, als er plötzlich erkannte:
    – Ein Leguan!
    – Eine Wasserschildkröte, sagte das Kind.
    – Markus interessiert sich für Tiere, sagte die Frau, die neben dem Kind stand, die Mutter wahrscheinlich, Wilhelm beschloss, nicht zu fragen. Stattdessen sagte er:
    – Wenn ich tot bin, Markus, dann erbst du den Leguan dort im Regal.
    – Cool, sagte das Kind.
    – Oder nimm ihn am besten gleich mit, sagte Wilhelm.
    – Jetzt gleich, fragte das Kind.
    – Nimm mit, sagte Wilhelm, mit mir geht es sowieso nicht mehr lange.
    Er sah dem Kind nach, wie es die Runde machte, jedem Anwesenden artig die Hand gab, dann erst marschierte es zum Bücherregal und betrachtete den Leguan, noch ohne ihn an sich zu nehmen, lange und von allen Seiten … Wilhelm biss die Zähne zusammen.
    …
    Ein Mann im braunen Anzug und Goldrandbrille. Warum trat er nicht näher? Warum blieb er dort stehen?
    – Wer bist du, ich kenne dich nicht.
    Der Stellvertreter, so stellte sich heraus. Des Bezirkssekretärs. Wieso der Stellvertreter?
    – Der Genosse Jühn ist leider persönlich verhindert, sagte der Stellvertreter.
    – Aha, sagte Wilhelm. Ich bin auch persönlich verhindert.
    Alle lachten. Wilhelm ärgerte sich.
    Der Mann klappte eine rote Mappe auf. Er begann zu reden. Seine Augen waren blau. Seine Stimme hatte ungefähr den Frequenzumfang eines Telefonhörers. Wilhelm verstand nicht, was der Mann sagte. Wilhelm ärgerte sich. Der Mann redete. Seine Worte klapperten. Sie klapperten durch Wilhelms Kopf, ohne ihren Sinn zu offenbaren. Geräusche. Papperlapapp, dachte Wilhelm. Metallarbeiterlehre. Parteieintritt … Emigration nach Paris … Plötzlich kapierte er. Das war sein Lebenslauf. Das, was aus dem Mund des Stellvertreters kam, was da sinnlos durch seinen Kopf klapperte – das war sein Lebenslauf. Der Lebenslauf, den er schon Dutzende Male geschrieben, den er schon zigmal den Grenzsoldaten, den Arbeitern vom Karl-Marx-Werk, den Jungen Pionieren erzählt hatte – und in dem, wie immer, das Wichtigste fehlte.
    Alle klatschten. Der Stellvertreter kam auf Wilhelm zu. In der Hand hielt er einen Orden, wie sie zu Dutzenden in Wilhelms Schuhkarton lagen.
    – Ich hab genug Blech im Karton, sagte Wilhelm.
    Alle lachten.
    Der Stellvertreter beugte sich zu ihm herunter und hängte ihm den Orden um.
    Alle klatschten, auch der Stellvertreter, der die Hände jetzt frei hatte.
     
    Das kalte Buffet wurde eröffnet. Zwischen den beiden Räumen begann ein

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