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Ruge Eugen

Ruge Eugen

Titel: Ruge Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: In Zeiten des abnehmenden Lichts
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sagte Mählich und schüttelte ihm die Hand.
    Das gefiel ihm an Mählich: dass er nicht viele Worte machte.
    – Bring das Gemüse zum Friedhof, sagte Wilhelm. Wir ziehen den Ausziehtisch aus.
    Sie gingen in den Salon und rückten den Tisch vors Fenster.
    – Aber Alexander muss jeden Augenblick kommen, protestierte Charlotte.
    – Papperlapapp, sagte Wilhelm. Papperlapapp!
    Charlotte verließ den Raum.
    Sie zogen die Seitenteile bis zum Anschlag heraus. Mählich fragte:
    – Wilhelm, wie schätzt du die politische Lage ein?
    Er schaute Wilhelm an. Schaute unter seinen gewaltigen Brauen hervor wie aus einer Höhle. Das gefiel ihm an Mählich. Er war ein ernsthafter Mann. Wilhelm fühlte sich zu einer Analyse ermutigt.
    – Das Problem ist, sagte er, dass das Problem das Problem ist.
    Er klappte ein Mittelteil um. Mählich tat auf seiner Seite dasselbe. Überraschenderweise hielten die Mittelteile nicht, sondern knickten ein und fielen glatt durch den Rahmen.
    – Verstehe ich nicht, sagte Mählich.
    – Hammer und Nägel, sagte Wilhelm. Du weißt doch wo’s steht.
    Mählich ging in den Keller und kam wieder mit einem Hammer und Nägeln. Wilhelm hob das Mittelteil auf, maß mit Daumen und Zeigefinger den Abstand zum Rahmen. Dort setzte er den Nagel an. Setzte noch einmal ab, weil er spürte, dass seine Analyse Mählich noch nicht hundertprozentig überzeugt hatte, und sagte:
    – Das Problem sind die Tschows, verstehst du: Tschow-Tschow.
    Mählich nickte sehr langsam. Wilhelm schlug zu.
    – Emporkömmlinge, sagte er.
    Er schlug zu.
    – Defätisten.
    Er hielt einen Augenblick inne und sagte:
    – Früher wussten wir, was man mit denen tut.
    Nächster Nagel. Charlotte kam rein:
    – Was macht ihr denn, um Himmels willen.
    – Wir ziehen den Ausziehtisch aus.
    – Aber ihr könnt doch da keine Nägel einschlagen.
    – Wieso können wir nicht, fragte Wilhelm.
    Er versenkte den Nagel mit einem Schlag in der Tischplatte.
    – Dunnerlüttchen, sagte Mählich.
    Und Wilhelm sagte:
    – Gelernt ist gelernt.
     
    Halb vier wurde die große Schiebetür zwischen den Räumen geöffnet, die Feier begann. Wilhelm hatte inzwischen zu Mittag gegessen und ein wenig geruht; Lisbeth hatte ihm noch einen Kaffee gekocht; sie hatte ihm Nasen- und Ohrenhaare beschnitten und dabei mehrmals mit ihren Schwimmbecken-Brüsten seine Schulter angestupst.
    Das kalte Buffet war gekommen und stand auf dem Ausziehtisch. Alexander dagegen war noch immer nicht da – eine Tatsache, die Wilhelm erfreute. Mehrfach fragte er Charlotte nach ihrem Enkel, den er vor allem als ihren Enkel betrachtete, so wie er die ganze Familie vor allem als ihre betrachtete: Defätistenfamilie. Irina mal ausgenommen. Immerhin war sie im Krieg gewesen. Im Gegensatz zu Kurt, der im Arbeitslager gewesen war – und sich jetzt als Opfer aufspielte. Der sollte froh sein, dass er im Lager gewesen war! An der Front hätte der nicht überlebt, als Halbblinder.
     
    Jetzt klingelte es in einem fort, Charlotte rannte hin und her wie ein Huhn, während Wilhelm in seinem Ohrensessel saß, hin und wieder von dem Kognak in seinem grünschimmernden Aluminiumbecher nippte und ein grimmiges Vergnügen dabei empfand, die Gratulanten, die nacheinander vor seinen Sessel traten, mit immer demselben Satz in Verlegenheit zu bringen:
    – Bring das Gemüse zum Friedhof.
    Die Weihes kamen, tappelten beide im Gleichschritt herein und redeten mit gesalbten Stimmen.
    Mählich kam jetzt mit Frau, einer blondierten Zicke, die stets über Rheuma klagte, obwohl sie noch keine sechzig war.
    Steffi, stets aufgedonnert, seit ihr Mann unter der Erde lag.
    – Bring das Gemüse zum Friedhof.
    Bunke kam jetzt herein, so gerupft wie sein Blumenstrauß, die Krawatte auf halbmast, eine Seite des Hemdkragens überlappte das Revers. Schon beim Betreten des Raumes tupfte er sich den Schweiß von der Stirn. So einer war nun Oberst bei der Staatssicherheit – während man ihn, Wilhelm, damals nicht übernommen hatte: Westemigrant! Bis heute kränkte es ihn. Auch er wäre lieber in Moskau geblieben. Aber die Partei hatte ihn nach Deutschland geschickt, und er hatte getan, was die Partei von ihm verlangte. Sein Leben lang hatte er getan, was die Partei von ihm verlangte, und dann: Westemigrant !
    – Bring das Gemüse zum Friedhof.
    Bunke tupfte den Schweiß ab und sagte:
    – Do gann isch kleisch pleiben.
    …
    Gesichter tauchten auf, die Wilhelm nicht kannte.
    – Wer bist du?
    Frau Bäcker, die

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